Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
Vom Netzwerk:
zu machen. Für die Plattenwerbung wurde so viel Geld ausgegeben, dass ich mich oft fragte, wie sie das alles wieder hereinholen wollten, aber so funktionierte nun mal das System.

 
    I   ch kam mir vor wie in einer Zange, die nach meiner Rückkehr aus dem Exil ihren Griff ein wenig gelockert hatte und nun allmählich wieder zudrückte. Was immer einem widerfahren kann, wenn man sich als Künstler in einem unzureichend entwickelten Land in die Politik einmischt, hatte ich am Hals.
    Über weite Teile des Landes war der Ausnahmezustand verhängt worden, und ich befürchtete an Flughäfen und bei Zollkontrollen stets, wieder verhaftet zu werden.
    Außerdem waren Leute wie ich in ständiger Gefahr, blindem Terror zum Opfer zu fallen. Es zermürbte einen, wenn man sich sofort bedroht fühlte, sobald an einer Straßenecke ein junger Kerl herumlungerte, und wenn man immer wieder vom Tod eines Freundes oder Bekannten erfuhr und abends in den Fernsehnachrichten die Bilder von zerfetzten Körpern sah.
    In weiter zunehmendem Maße hatte ich es mit Raubkopien zu tun, deren Markt völlig unkontrolliert wucherte. Aber in Zeiten, in denen tagtäglich 30 Leute umgebracht wurden, konnte man natürlich Raubkopien nicht zum Thema machen.
    Hinzu kamen die Anfeindungen von Leuten, die sich Linksintellektuelle schimpften. So seltsam es klingen mag, aber es gab damals eine ganze Reihe von halbintellektuellen Künstlern, die auch in jenen blutigen Tagen nichts Besseres zu tun hatten, als in den immergleichen Kneipen herumzuhängen und sich neidisch über andere das Maul zu zerreißen. Einem Kollegen konnten sie durchaus mal einen kleinen Erfolg gönnen, solange durch diesen das Gefüge nicht ins Wanken geriet. Zwei Dinge aber waren in ihren Augen unverzeihlich: Wenn man mit seiner Arbeit bei breiteren Massen ankam und wenn man im Ausland erfolgreich war. Popularität im eigenen Land war schon schlimm genug, aber sich im Ausland einen Namen zu machen galt als Sakrileg.
    Deswegen wurde auch jahrelang Yaşar Kemal so sehr zugesetzt. Dass einer der Ihren es im Ausland zu etwas gebracht hatte, machte zahlreiche Schriftstellerkollegen fuchsteufelswild. Laut dem verbreitetsten Gerücht habe nicht Yaşar Kemal seine Bücher geschrieben, sondern seine Frau Thilda.
    Je mehr ich im In- und Ausland bekannt wurde, umso öfter zog auch ich mir den Zorn meiner Kollegen zu. Dass ich einfach nur als unabhängiger Künstler meinen Weg ging, wollte mir niemand abnehmen. Selbst Leute, die in keiner Weise mit Musik befasst waren, schrieben über meine Lieder und mich giftige Artikel. Begegnete ich solchen Menschen, dann verstummten sie und sahen mich nur feindselig an. Hätte ich ihren Vater umgebracht, wäre ich ihnen nicht verhasster gewesen.
    Äußerst ungern wurde in solchen Kreisen auch meine Zusammenarbeit mit Maria Farantouri gesehen, denn Maria und auch Mikis Theodorakis galten ihnen als Idole, und dass ihre Idole sich mit mir abgaben, wollte ihnen nicht in den Kopf. Dabei beteuerte mir Maria, wie hilfreich meine Kompositionen für sie seien, was auch die griechische Presse betonte, allerdings wiederum als Argument, um auf die eigenen Künstler einzuprügeln. In einem Artikel der Zeitung Ethnos wurde ich einmal zum »Retter der griechischen Musik« ausgerufen, während der Autor an Theodorakis und Hacidakis kein gutes Haar ließ. Es gilt eben kein Prophet in seinem eigenen Land.
    Die sozialdemokratische PASOK suchte sich mein Lied »Hiroschima« zur Wahlhymne aus, und bei einer Veranstaltung zu Ehren der Komponisten, die am meisten Einfluss auf die griechische Musik ausgeübt hatten, wurde mir als einzigem Ausländer ein Preis verliehen. Zu Hause in der Türkei sorgte das nur wieder für Unmut, und der entlud sich beispielsweise darin, dass jemand einen Brief an Maria Farantouri schrieb und mich darin als türkischen Agenten bezeichnete, vor dem sie sich in Acht nehmen solle. Maria lachte zwar nur, als sie mir den Brief zeigte, aber ich fand ihn doch ein erschreckendes Dokument.
    Konnte eine linke Bewegung mit solch einer Moral lebensfähig sein? Was für Werte wollten diese gesinnungslosen Menschen eigentlich vertreten und mit welchem Anspruch? Während in der Türkei so viel Blut vergossen wurde und der kulturelle Bereich verwilderte und verkam, kümmerten sich diese Leute bloß noch um mich. Alles durfte sein: Die Welle der Arabesk-Musik durfte über das Land schwappen, in Unterhaltungslokalen durften die armseligsten Lieder gesungen werden,

Weitere Kostenlose Bücher