Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
gegangen und lasse meine Platten nun dort herausbringen. Zudem habe ich die DDR als meine »wahre Heimat« gepriesen.
Jene Zeitschrift hatte jahrelang Lobeshymnen auf mich verfasst, und ich kannte die Journalisten dort persönlich, denn sie waren oft genug zu mir nach Hause gekommen, hatten von meiner Familie Fotos gemacht und uns als vorbildliche Menschen porträtiert. Ich begriff nicht, was sie zu dieser radikalen Kehrtwendung veranlasst hatte.
Schließlich geschah, was zu erwarten war: Hürriyet prangerte mich als Kopf der im Ausland gegen die Türkei gerichteten Aktivitäten an und schrieb tags darauf, ich sei nun zur Heimkehr aufgerufen worden.
Nicht einmal Letzteres stimmte. Weder war an die Botschaft in Stockholm eine solche Meldung ergangen, noch wusste in Ankara jemand darüber Bescheid. Offensichtlich wollte die Zeitung damit dem Regime nur einen Wunsch kundtun.
W ährend in jenen gefahrvollen Tagen ein Teil der Presse auf diese Weise agierte, gab es zum Glück auch Medien, die bei dieser Hexenjagd nicht mitmachten. So brachte mich etwa das von Mehmet Ali Kışlalı herausgegebene Magazin Yankı auf die Titelseite und berichtete – quasi als Dementi auf jene anderen Artikel – über meine Platten, Filmmusiken und Konzerte in Europa.
Es wäre trotzdem zu gefährlich gewesen, in die Türkei zurückzugehen, aber zum Trost ergaben sich auch im Ausland Möglichkeiten, mit türkischen Künstlern zusammenzuarbeiten. Die berühmte Schauspielerin Türkân Şoray hatte gerade bei der Verfilmung von Yaşar Kemals Roman Töte die Schlange Regie geführt und die Hauptrolle übernommen und wünschte sich, dass der Schnitt des Films unter der Leitung von Abidin Dino stattfinde. Die Filmmusik sollte ich schreiben.
Abidin Dino kam aus Paris nach Stockholm, und zusammen mit Türkân Şoray, dem Kameramann und dem Produzenten machten wir uns dort an die Arbeit. Wir verbrachten den ganzen Tag am Schneidetisch, diskutierten über jede einzelne Szene und versuchten uns an verschiedenen Schnitt-Techniken. Ich hatte viel zu dem Thema gelesen und kannte sowohl die amerikanische als auch die britische Schule, und zum ersten Mal fand ich Gelegenheit, dieses theoretische Wissen auch anzuwenden. Einmal fragte mich Türkân Şoray: »Hätten Sie nicht Lust, selbst einmal Regie führen?«
Daran hatte ich seit Jahren gedacht. Seit meiner ersten Filmmusik für den Film Der Bus las ich ständig Fachbücher über Spezialeffekte, Montage und Kameraführung. Nach Türkân Şorays Frage fiel meine Entscheidung: Ja, ich würde einen Film machen.
Ich war bis dahin bei jeder meiner Filmmusiken mit dem jeweiligen Regisseur nicht ganz auf der gleichen Linie gewesen. Sowohl eine ausländische Regisseurin wie Helma Sanders als auch einige der türkischen Regisseure hatten einen Hang zum Gefühlvollen. Mir kamen manche ihrer Szenen einfach zu melodramatisch vor, während sie von mir wollten, dass ich durch die Musik zur Emotionalisierung noch weiter beitrug. Ich hätte viel lieber auf verfremdende Weise entgegengewirkt.
Bei Musik, Literatur und Film ziehe ich im Allgemeinen eine distanzierte Erzählweise vor. Das ist keine bewusste Entscheidung, sondern entspricht meinem Naturell. Selbst wenn ich im Alltagsleben jemanden übertrieben agieren sehe, schäme ich mich oft für ihn. Meine Lieder sind zwar gefühlvoll, aber in keinem davon ist von herzzerreißendem Schmerz oder überschäumender Freude die Rede. Mir ist es lieber, Gefühle nur anzudeuten und den Rest ahnen zu lassen.
Dafür bin ich oft kritisiert worden. In der Türkei neigt man zur orientalischen Ausschmückung. So wie die Menschen ihre Wohnungen mit reichgeschnitzten Möbeln vollstellen, haben sie es auch in Musik und Literatur gerne ausschweifend. Eine schlichte Wohnungseinrichtung oder eine entsprechende Erzählweise erscheint ihnen einfach nur fade. Es muss schon alles nach etwas aussehen. Daher muss auch aus jedem Gefühl das Äußerste herausgeholt werden. Wenn es in einem Lied um Trennungsschmerz geht, muss der Sänger weinen und schluchzen. Die gleiche Trauer in Form einer ruhigen Ballade zu behandeln, kommt vielen unangemessen vor.
Mit Türkân Şoray gab es weder über den Filmschnitt noch die Musik irgendwelche Unstimmigkeiten. Sie erwies sich als äußerst sensibler Mensch von großer künstlerischer Empfindsamkeit. Wir vereinbarten, einmal gemeinsam einen Film zu machen, und es begann eine schöne Freundschaft zwischen uns beiden.
D ie
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