Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
Vom Netzwerk:
entschlossen. Aber man kann ihm an der Nasenspitze ansehen, wie notdürftig dies gelogen ist.
    Ach, Achim ist so leicht zu lenken. Gerade wenn er sich fürchtet, sogar wenn ihn bereits die Panik packt, ist es babyeinfach, seinem Drang den erwünschten Drall zu geben. Vom weißen Block kommen der Mann ohne Gesicht und der Fehlharmoniker herüber. Sie gehen auf kürzestem Weg schräg über die Fahrbahn des Drosselgrunds, Sputnik, die nicht am Bügel ihres Geschirrs gehalten wird, trabt ihnen ein kleines Stück voraus. Achim erkennt die Gelegenheit, inRichtung Spielplatz auszubüxen. Schon drückt sein rechter Fuß auf den glattgewetzten Gummi des Pedals, aber ich halte ihn samt seinem Fahrrad, samt dem Roten Peter fest, indem ich einen tüchtigen Schuss Neugier unter seine Fluchtlust mische.
    Als er und der Kikki-Mann die Querseite des weißen Blocks passierten, hat er bemerkt, dass die beiden Invaliden am dritten, am letzten Eingang des leerstehenden Hauses zugange waren. Der Kerl ohne Gesicht kickte gegen die dicken Bretter, mit denen diese Tür, genau wie die beiden vorderen, vernagelt ist. Achim, seine Brüder und seine Cousins, die für ihn auch eine Art von Brüdern sind, wissen genau, dass selbst ein bärenstarker Mann diese Bohlen nicht nach innen treten könnte. Seit den Huhlenhäuslern die Wohnungen im türkisen Block zugewiesen wurden, haben die Buben der Sippe mehr als einmal versucht, in den letzten, in den unbewohnten weißen hineinzukommen. Aber die vorderen wie die hinteren Türen, die Fenster des Erdgeschosses und auch die Kellerluken sind nicht nur mit Holz, sondern zusätzlich mit eingemörtelten Armiereisen gegen ein Eindringen gesichert. Im ersten Jahr ihrer Sesshaftigkeit hatte Achims ältester Bruder sogar Feuer am mittleren Kellereingang gelegt, um sich durch ein Brandloch zumindest Einblick zu verschaffen. Aber der Rauch fiel schnell auf, der dicke Polizist aus dem Revier am Elsternhorst kam schon vor der Feuerwehr mit seinem von einem dunklen Blaulicht gekrönten Buckelauto angeknattert, und der Schuldige war, da er schon einiges andere ausgefressen hatte, im Erziehungsheim gelandet.
    Der Kikki-Mann weiß noch ein Quäntchen mehr. Ganz rechts, dem Fenster gegenüber, das in den Tagen seiner Ehe das Schlafzimmerfenster war, befindet sich die einzige Öffnungdes weißen Blocks, die nicht blickdicht verschlossen ist. Einer der Arbeitsmänner, die sonst rundum gründlich zu Werk gegangen waren, hat dort gepfuscht. Vom ersten starken Herbstwind wurde das schlampig angenagelte Brett losgerissen, und so konnten er und seine Margot bereits am Tage ihres Einzugs ein kleines Stück weit ins Innere des unbewohnten Gebäudes spähen. Schnell war ihnen aufgefallen, wie regelmäßig Vögel den Spalt zum Eindringen nutzten: Tauben flogen geradewegs auf die Öffnung zu und zogen zwischen zwei Flügelschlägen mit einem eleganten Ruck die Schwingen etwas näher an den Körper. Die Spatzen hingegen hüpften stets zu mehreren ein langes Weilchen aufgeregt tschilpend auf dem Fenstersims herum, bevor sie sich in jähem gemeinsamen Entschluss, dicht an dicht, wie in einer Polonaise ins Innere stürzten.
    Drinnen war es, da gab es keinen Zweifel, grün. Margot und er konnten aus dem günstigen Vis-à-vis ihrer Wohnung einen je nach Sonnenstand hell- oder dunkelgrünen Streifen Innenwand erkennen. Hierüber durften sie sich, zunächst noch in schönster Eheeintracht, ganz ähnlich wundern. Denn – unabhängig davon, wie weit die Baumaßnahmen im weißen Block bereits gediehen waren, als man entschieden hatte, die Arbeit einzustellen – in einem Haus, das nie bezogen worden war, konnte es eigentlich nur ziegelrote oder weißgrau verputzte Wände geben. Einmal, in ihren lichten, allem Neuen aufgeschlossenen Anfangswochen, hatte seine Margot sogar den Vater der Zwillingsbuben danach gefragt. Der hatte kategorisch, fast barsch erklärt, im letzten Block sei garantiert kein Gramm Verputzmörtel auf Decken oder Wände geschmissen worden. Vom ersten bis zum letzten Tag sei er dabei gewesen, habe zuletzt noch mitgeholfen,alles zu vernageln. Über eine farbige Wand im ersten Stock brauche man also gar nicht weiter nachzugrübeln. Dass man den Block dann außen noch fein säuberlich weiß gestrichen habe, sei allerdings ein Witz. Aber so gehe es im Zweifelsfall allenthalben zu. Die Tünche, die elende weiße Maskerade, sei die Schuldigen halt billiger gekommen, als das endgültig missratene Ding bis auf das Fundament

Weitere Kostenlose Bücher