Roman unserer Kindheit
in logischer Rückkopplung auch das bleiche Möbel in besonderer Weise räumlich wirken lässt. Fast kommen ihr die beiden aus dem Bild entgegen.
Da weiß die Mutter, worum sie den Vater, wenn er gleich nachher mit der Illustrierten, die sie beide so gern lesen, von Tabak-Geistmann wiederkommt, unbedingt bitten muss. Er soll ihr, der Doktor Junghanns für die kommenden Wochen, für die riskanten Wochen, dringend von jeder schweren Arbeit, vor allem von jeglichem Heben abgeraten hat, die Couch der Wohnküche verrücken. Dann will die Mutter den Boden, der unter dem tiefhängenden Holzbauch des Möbels schlecht zu erreichen ist, endlich wieder einmal saugen und wischen. Und auch die stoffbespannte Rückseite des Sofas will sie so gründlich mit dem Bürstvorsatz des Saugers traktieren, als ließen sich mit Flusen, Haaren, Staub auch jeder Ehegroll und alle Kindersorgen in den Beutel schlürfen.
Sommernacht
Die Kinder spüren die kühle, frische Luft, die ihnen aus dem kommenden Stück des Stollens, aus dessen Biegung entgegenströmt. Sybille dreht noch einmal den Kopf und wundert sich, wie langsam die Krümmung ihrem Blick, während sie mit den anderen Schritt hält, den Tisch, das Telefon und auch das schöngewellte weiße Haar des toten Manns entzieht. Eigentlich ist sie froh, dem Ding-Sein der Leiche auf diese Weise zu entkommen, aber zugleich stellt sie sich schon die Rückkehr und das daran geknüpfte Wiedersehen mit dem dann ausgekühlten Körper vor. Unsere Schicke Sybille, die manchmal langsam, aber immer gründlich denkt, begreift den Preis, den sie und ihre Freunde vorhin für Kamm, Geldbörse und Messer, für Medaillon und Pillendöschen bezahlen mussten. Als ihre Hände in die Taschen des Verstummten fuhren, wurde ihm eine große Münze ihres Fühlens, die Wahrnehmung der noch in seinem Leib gestockten, der schon ein bisschen bös gewordenen Wärme, gespendet.
Der Wolfskopf hat indessen den Kopf im Nacken liegen und guckt sich die Ziegel an, die über ihnen einen Bogen bilden. Weil er in jeder Faser seines groben Körpers, weil er bis in die Spitzen seines dicken aschblonden Haars nach seinem Vater geht und ihn dazu noch äffisch nachahmt, überlegt er bei allem, was ihm neu begegnet, immer als Erstes, wie es wohl gemacht ist. Jetzt wüsste er zum Beispiel irrsinnig gern,warum die Steine den Maurern nicht herunterplumpsen, wenn sie so ein Gewölbe von beiden Seiten seinem Scheitel entgegenziegeln. Die Zwillinge haben sich die Hände des Ami-Michi genommen. Beide beschummeln sich mit einem ihrer letzten gemeinsamen Gedanken. Der Gebissene flüchtet sich gleich dem Ungebissenen in den Glauben, sie liefen Hand in Hand mit ihrem Freund, weil der sich schneller und besser ängstigen könne als alle anderen Kinder, die sie kennen. Der Ami-Michi aber merkt, wie verschieden kalt ihre Finger sind. Er lugt zur Seite und sieht an dem Abdruck, der sie seit gestern für ihn unterscheidbar macht, dass die kältere, die wirklich eisig kalte Pfote dem Zwilling gehört, dem die Zähnchen von Sybilles kleiner Schwester dieses Ulkbild, diese falsche Uhr, ins sommerbraune Ärmchen tätowierten.
Der Schniefer weiß als Einziger, wohin die langgezogene Kurve führt. Von vorn riecht es auf eine feine Weise käsig, genau so, wie es aus dem ersten Trichter, in den er gucken durfte, heraufgerochen hat. Am liebsten würde er deswegen umkehren, losrennen und mir nichts, dir nichts abhauen, aber hinter ihm kratzt der Ältere Bruder mit seiner angespitzten Krücke über den Boden, und an ihm, dem besonderen Freund, ist nicht so leicht vorbeizukommen. Dann sieht er, was sich oben, wo die höchsten Steine an die letzte Fuge rühren, aus dem Mörtel kräuselt. Noch hat es keiner außer ihm entdeckt. Aber mit jedem Schritt werden die Auswüchse ein bisschen dicker, schon hebt ihr Würmchenweiß sich deutlich vom Dunkelrot der Ziegel ab. Gleich werden die Zwillinge etwas dazu sagen, vielleicht fällt ihnen, dem Schniefer gruselt davor bis ins Mark, sogar ein Witz ein, in dem ein solches Geflecht irgendeinem blöden Schlussknall dienen muss. Bevor es hierzu kommt, will er es lieber selbersagen. Er zeigt nach oben und verrät den anderen, was sich da offenbart. Es sind die ersten zarten Würzelchen, die äußersten Ausläufer des gewaltigen Wurzelstocks, die sich durch die Gewölbedecke bohren. Weil es für ihn gar keine zweite Pflanze geben kann, die hierfür in Frage käme, vergisst er, den Namen des Baums zu nennen. Erst als Sybille
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