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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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dennoch weniger Kleber für mehr Geld, weil sie weiß, wie kurz die Finger ihrer Söhne sind. Nun sollen die Bilder endlich in die noch ungelesene Geschichte. Gestern, als die Zwillinge und der Ami-Michi nach der Abfahrt von Doktor Junghanns doch noch die Schere erhielten und das Paket geöffnet wurde, kam, schützend eingeschlagen in milchig halbdurchsichtiges Papier, das albumartig breite Buch zum Vorschein. Schildkrötenlangsam und völlig stumm, ganz anders, als die Mutter es von ihren sonst so munteren Sprösslingen erwartet hätte, blätterten sich die beiden dann, die Stirn unkindlich lang gerunzelt, ein erstes Mal bis zur letzten der glänzenden Seiten durch.
    Zweimal musste der Ami-Michi nachfragen, bis die Zwillinge ihm endlich erklärten, was die freien Stellen aufden Seiten zu bedeuten hatten. Mit offenem Mund staunte er über die Vorgeschichte: Über zweihundertmal seien aus leeren Nudelpackungen die Sammelpunkte ausgeschnitten worden. Stets hätten sie sich dazu die spitze, extrascharfe Nagelschere der Mutter geben lassen. Rechteck für Rechteck sei fein säuberlich entlang seiner gestrichelten Umrisslinie aus dem Karton geschnippelt worden. Denn nur ein ordentlich herausgetrennter Sammelpunkt behalte seine Gültigkeit. Auf jedem blauen Rechteck sehe man einen gelben Kreis. In jedem Kreis sei eine blaue Zwei, die für zwei Punkte stehe. Als die Mutter kurz draußen beim Wäscheaufhängen war, verrieten die Zwillinge dem Ami-Michi, dass sie regelmäßig Heißhunger auf Makkaroni, Spaghetti oder Buchstabensuppe geheuchelt hätten, um möglichst rasch an weitere Packungen zu gelangen. Als endlich die ungeheure Zahl von fünfhundert Punkten erreicht gewesen sei, habe die Mutter die Kartonquadrate zusammen mit einer Zuzahlung, mit einem dieser kleinen grünen Scheine, auf denen die Frau mit den schönen Locken und prächtige Eichenblätter abgebildet seien, an die Nudelfabrik geschickt.
    Und nun sind auch die Bilder da. Die Mutter hat den Ami-Michi, der draußen im Nieselregen seinen Plastikball gegen die Hauswand kickte, hereingerufen. Auch er soll miterleben dürfen, was ihm gestern vorenthalten blieb. Die Bilder sind eine Pracht. Die Bilder sind eine wahre Wucht. Hochglänzend und auf ein festes, fast kartonsteifes Papier gedruckt, übertreffen sie jede mögliche Erwartung. Doch vorerst müssen sich die Knaben ganz auf die Rückseiten konzentrieren, denn die dort mattgrau aufgedruckten Nummern entscheiden, wie Bild auf Bild ins Buch gehört. Damit ihnen um Himmels willen kein Fehler unterläuft, prüfen die Zwillinge,die sich zur Beruhigung an die Ellenbogen ihres großen Bruders schmiegen, nacheinander, ob die fragliche Zahl wirklich mit der im textfreien Rechteck übereinstimmt. Und auch der Ami-Michi, der ihnen vis-à-vis sitzt und für den die Ziffern auf dem Kopf stehen, ist angehalten, mit zu kontrollieren, und gibt sich Mühe, aufzupassen wie ein Luchs. Der Ältere Bruder schmiert den Kleber hauchdünn ins Buch, pustet dann drüber, damit die glasige Schicht schnell antrocknet und das Papier nicht aufweicht. Sobald ein Bild an seinem Platz ist, wird das Buch geschlossen. Acht frisch gewaschene Hände pressen es auf den Tisch, damit das Eingefügte, während der Kleber härtet, sich nicht wellt oder verrutscht. Durch die gespreizten Finger sehen die Buben dann nur schmale, immer anders ausgeschnittene Segmente des Titelbildes, was dessen Schönheit wie dessen Schrecken keineswegs schmälert, sondern im Gegenteil bei jedem stummen Draufstarren um ein spürbares Quäntchen steigert.
    Als das letzte Bild, die Nummer 63, bombenfest an seinem Platz pappt, sind sich die Geschwister wie der Ami-Michi nicht sicher, ob sie über das Ende der großen Prozedur froh oder betrübt sein sollen. Der Ältere Bruder wendet noch einmal alle Seiten. Die Witzigen Zwillinge sehen von rechts und links ins Buch. Der Ami-Michi ist um den Tisch herumgekommen, damit Tiere und Menschen nun auch für ihn auf Füßen und Tatzen stehen und alles Flüssige nach unten fließt. Die Mutter lehnt am Gasherd, schlürft ihren Kaffee und sorgt sich jetzt doch, dass die Geschichte für das Gemüt ihrer beiden Kleinen, die sie für besonders zart besaitet hält, zu gewaltträchtig sein könnte. Vorhin, als die Brüder erst einmal alle Bilder auf dem Tisch ausgebreitet hatten und mit dem Ami-Michi stumm auf das in dieser Ungereihtheiträtselhaft wüste Geschehen guckten, ist für die Augen der Mutter schlimm klar zu erkennen gewesen, wie

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