Roman unserer Kindheit
der Badewanne lehnt und hochkonzentriert in seinen Comic guckt, solange der andere, noch gründlicher in jede Sprechblase versunken, die Holzbrille der Kloschüssel besetzt. Der Ami-Michi hat keine Geschwister und wird auch keine mehr bekommen, weil seineMutter bei ihrem Fernfahrer-Gatten genauso wie bei ihren amerikanischen Vormittagsbesuchern auf der Hut ist. Ohne Gummi komme bei ihr nichts mehr in die Tüte, ohne einen von ihr eigenhändig aufgezogenen Qualitätsartikel bleibe der Ofen kalt. So hat sie es erst kürzlich auf offener Straße gegenüber Annabett Böhm zweimal nacheinander auf ein Bild gebracht. Die beiden Frauen hatten zwischen Tabak-Geistmann und Lebensmittel-Vetterle die Einkaufstaschen abgesetzt, um ein wenig zu plaudern. Der Ami-Michi ist brav dabeigestanden. Als seine Mutter dann noch sagte, die Zeiten, wo man den Männern zuliebe jedes Risiko eingegangen sei, um Monat für Monat erneut das große Zittern zu bekommen, seien doch endgültig vorbei, wurde er von Sybilles Mutter so bedenklich, so superstreng von oben angeschaut, als könnte ausgerechnet er etwas dafür, dass sich seine Mutter mitten auf dem Gehsteig lauthals über solche Erwachsenen-Sachen ausließ.
Wenn er sich aus allen Müttern des Hofes eine aussuchen dürfte, wäre dem Ami-Michi die Mutter der drei Brüder mit Abstand die liebste. Sogar Sybille, die ihre Mutter, vielleicht zu Recht, für die schönste Frau der Welt hält, sagt, dass die Zwillinge und deren Älterer Bruder eine tolle Mutter zu Hause hätten. Vorhin hat diese Super-Mutter sofort gemerkt, wie er sich auf der Stelle wand. Ganz von allein hat sie verstanden, dass er vor lauter Neugier mit den Sandalen auf dem Fußabstreifer scharrte, weil er unbedingt mit ansehen wollte, wie die Zwillinge das Paket aufmachten. Drinnen am Küchentisch heißt es sich nun gedulden. Aber da sogleich ein großes Glas eisige Limo vor ihn hingestellt wird, ist es schönes Warten. Bei keiner anderen Mutter ist der Kühlschrank so verschwenderisch kalt eingestellt. Der Ami-Michi gießtsich gerade einen weiteren langen Schluck in die vor Kälte schon fast taube Kehle, als hinter Spüle, Herd und Kühlschrank, als hinter der dünnen Wand zum Bad, endlich die Spülung geht.
Den Älteren Bruder beutelt unterdes das Fieber. Gut zehn Minuten, kaum ein knappes Viertelstündchen, hat die Mutter nicht nach ihm geschaut. Aber die Spanne genügte der unerklärten Krankheit, um sich bis in ihre wahre Höhe aufzuschwingen. Der Ältere Bruder klappert mit den Zähnen und murmelt die wichtigsten Stücke, die Kernsätze des Bandwurmwitzes. Er weiß, dass seine Brüder die Geschichte lieben werden, ist aber noch nicht dazu gekommen, sie an die beiden weiterzuerzählen. Auf keinen Fall darf er vergessen, dass es zwei Möglichkeiten gibt, den Eindringling, den fremden Zehrer, wieder loszuwerden. Und unerlässlich gehört in die Eröffnung der Geschichte, dass der kleine Apfel gewaschen und entstielt und das gekochte Ei gut abgepellt sein muss. Nur so können Apfel und Ei dem gefräßigen, aber tumben Wurm auf kürzestem Weg als Leckerbissen angeboten werden.
Unser großer Bruder muss vor Fieber schnattern, während er sich wieder vorstellt, wie der geschickte Doktor seinem Patienten beides nacheinander, das Äpfelchen stets zuerst, tief in den Po und damit in die Eingeweide schiebt. So geht es Tag auf Tag. Und schließlich schlägt die Stunde des Hammers. Am Tag der Entscheidung wird das vom Witzerzähler eingangs mit dem nötigen Nachdruck erwähnte Werkzeug anstelle des harten Eis in die Praxis mitgebracht. Der Ältere Bruder sieht, wie der Bandwurm, der sich, nicht anders als ein gutgläubiger Mensch, allzu schnell an das Geschenkte gewöhnt hat, den Wurmkopf zum ersten Mal hinaus ins Freieschiebt, um nachzugucken, wo sein Ei bleibt. Er fragt sogar: «Wo bleibt mein hartgekochtes Ei?» Professor Felsenbrecher hat die Wurmstimme ganz prima mit gespitzten Lippen herausgeflötet, aber die Witzigen Zwillinge werden es noch drolliger und zugleich gruseliger zustande bringen.
Der Ältere Bruder memoriert die Frage mit heiserer Stimme und sieht an der Decke des Kinderzimmers das Rosettenmäulchen des todgeweihten, des todesnahen Wurms aufscheinen. Das Saugloch hat einen wunderhübschen Doppelkranz aus himbeerroten Häkchen und milchig bleichen, stummelkurzen Tentakeln. Professor Felsenbrecher, aus dessen fachmännischem Wissensschatz das Porträt des Parasiten stammt, hat inzwischen höchstselbst, als
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