Romana Exklusiv 0172
eine Stunde später auf dem Vorplatz des beeindruckenden Gebäudes im maurischen Stil, das sich seit Jahrhunderten im Familienbesitz befand, anhielten, hob Sebastián den schlafenden Jungen aus dem Auto. Auf dem kurzen Weg zum Haus wurde Jamie wach. Sogleich war sie neben ihm, und er streckte lächelnd die Ärmchen nach ihr aus. Sebastián reichte ihr das Kind.
Plötzlich geriet sie in Panik. Ist es falsch, dass ich hergekommen bin?, überlegte sie besorgt. Sie konnte die Erinnerungen nicht mehr verdrängen. Sie hörte das Plätschern der Springbrunnen im Innenhof, und ehe die breiten Türen aus massivem Holz geöffnet wurden, sah sie schon im Geist die wunderschöne Eingangshalle mit dem Mosaikfußboden vor sich.
Alles war noch genauso wie damals, und trotzdem war jetzt alles anders. Damals war sie mit ihrem Mann, von dessen Liebe sie überzeugt gewesen war, hier angekommen, dieses Mal mit ihrem Sohn, dem Kind aus der kurzen Liebesbeziehung.
Dann gingen die Türen auf. Im Schein der Kronleuchter stand Davinas Schwiegermutter da, um sie und Jamie zu empfangen. Sie wirkte würdevoll und sehr weiblich in dem eleganten, langen Kleid. Sie trug immer nur Schwarz. Davina fiel ein, wie eingeschüchtert sie bei der ersten Begegnung gewesen war. Über solche Regungen war sie längst hinaus.
Mit hoch erhobenem Kopf ging sie hinter Sebastián her ins Haus. Ihre Schwiegermutter begrüßte sie kurz, ehe sie sich Jamie zuwandte.
„Das ist also Ruys Kind.“
Davina ignorierte die Bemerkung und sah sich um. Wo ist Ruy?, fragte sie sich und zwang sich, sich die Enttäuschung, die sie empfand, nicht anmerken zu lassen.
Schließlich forderte die ältere Dame Davina auf, ihr voraus in den Salon zu gehen.
Der Fußboden war mit wertvollen Orientteppichen bedeckt, und die antiken Möbel waren auf Hochglanz poliert. Davina sank der Mut bei dem Gedanken, Jamie in einer Umgebung heranwachsen zu lassen, wo er mit seinen kleinen Händchen nichts anfassen durfte.
Eine zierliche und sehr schlanke junge Frau stand auf, als sie hereinkamen. Davina war klar, dass es nur Rosita sein konnte. Sebastián stellte sie ihr dann auch als seine Frau vor. Bei Jamies Anblick flüsterte Rosita ihrem Mann auf Spanisch etwas zu.
„Sie hat gesagt, der Junge sähe so aus wie Ruy“, übersetzte Sebastián.
„ Hay comprendido“, antwortete Davina.
Alle waren überrascht. Damals hatte sie kein Spanisch gesprochen. Doch weil sie eine Zeit lang gehofft hatte, alles sei ein Missverständnis gewesen, Ruy würde sie doch lieben und sie zurückholen, hatte sie nach ihrer Rückkehr nach England Spanisch gelernt.
„Man hat mir mitgeteilt, Ruy wolle unbedingt seinen Sohn sehen. Wo ist er? Ist er etwa mit Carmelita ausgegangen?“, fragte Davina kühl und hob stolz den Kopf. Es sollten ruhig alle wissen, dass sie nicht mehr bereit war, so zu tun, als hätte ihr Mann keine Geliebte.
Rosita wurde blass, und Sebastián presste die Lippen zusammen. Nur die Condesa blieb ruhig und gefasst.
Ehe jemand antworten konnte, hörte Davina ein seltsames Geräusch in der Eingangshalle. Es klang wie ein Kinderwagen, der geschoben wurde. Doch das war lächerlich, in diesen makellosen Räumen würde man keinen Kinderwagen dulden.
Sebastián ging auf Davina zu und berührte sie am Arm. Sie hatte das Gefühl, er wolle ihr etwas sagen. Doch in dem Moment begriff sie, warum ihr Mann sie nicht selbst am Flughafen abgeholt hatte, sondern seinen Bruder geschickt hatte: Ruy kam im Rollstuhl herein.
2. KAPITEL
„Ruy!“, rief Davina entsetzt aus.
Zuerst sah er sie nur ungläubig und erstaunt an, dann wurde seine Miene zornig.
„Ist das etwa eine Verschwörung?“, fragte er seine Mutter ärgerlich. „Was will sie hier?“, fügte er hinzu und machte eine Kopfbewegung in Davinas Richtung.
„Ich habe sie gebeten zu kommen“, antwortete Ruys Mutter kühl.
„Du hast sie gebeten? Wer hat dir das erlaubt?“ Seine Stimme klang gefährlich sanft. „Ich bin immer noch der Herr in diesem Haus, Madre. Ich entscheide selbst, wen ich einladen will und wen nicht.“
Während er seinen Zorn und Ärger an seiner Mutter ausließ, betrachtete Davina ihn genauer. Die Aura von Macht und Stärke, die ihn damals umgeben hatte, hatte sie genauso aufregend und faszinierend gefunden wie seine geschmeidigen Bewegungen und seine arrogante Haltung. Jetzt wirkte er nur noch hart und verbittert.
Ruy blickte Davina so abweisend und verächtlich an, dass sie am liebsten geflüchtet wäre. Dann
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