Romana Exklusiv 0172
rücksichtslos zu überholen.
„Verdammt!“, fluchte Ruy, als er bremsen musste und hinter ihnen Reifen quietschten. „Am liebsten würde ich diesen Verrückten die Meinung sagen. Ich frage mich, ob die wissen, wie viele Unfälle hier passieren.“
Dann ging es steiler bergauf, und der überladene Sportwagen blieb weit hinter ihnen zurück.
„Wenn ich nicht an den Rollstuhl gefesselt wäre, würde ich anhalten und mit ihnen reden“, erklärte Ruy verbittert. „Du liebe Zeit, ich kann mir ihre Mienen vorstellen, wenn sie mich sehen würden, einen Behinderten …“
Sein Ärger und sein Zorn schienen sich wie eine dunkle Wolke im Wageninnern auszubreiten. Jamie saß ganz still da, und Davina wünschte sich, sie wäre nicht so empfindlich. Außerdem musste sie gegen die Übelkeit ankämpfen, die immer stärker wurde. Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wollte sie versuchen, die heftigen Kopfschmerzen zu lindern. Doch allein diese Geste war eine enorme Anstrengung. Davina erbebte.
„Was hast du? Verträgst du das Autofahren nicht?“ Ruy warf ihr einen kurzen Blick zu.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“ Ihre Stimme war kaum zu hören. „Ich habe Kopfschmerzen, mir ist übel und schwindlig. Ich friere …“
„Du hast einen Hitzschlag. Bist du etwa heute Vormittag ohne Kopfbedeckung herumgelaufen?“
Davina konnte nicht mehr antworten. Sie wollte sich nur noch hinlegen und ihre Ruhe haben. Aber sie wollte auch nicht zugeben, dass Ruy Recht hatte. Deshalb richtete sie sich auf und blickte zum Fenster hinaus.
Sie fuhren durch rostrotes Sandsteingebirge, das mit Moos und allen möglichen Gebirgspflanzen bewachsen war. Hinter ihnen erstreckten sich die Ebene und die Küste. Davina wagte es jedoch nicht, sich umzudrehen und die schöne Aussicht zu genießen. Die Straßen in Ronda waren eng und die Gebäude alt und ehrwürdig.
Die Estancia, die ehemalige Sommerresidenz der Silvadores, lag jenseits von Ronda. Ruy erklärte Jamie den Unterschied zwischen den drei- bis vierjährigen und den vier- bis fünfjährigen Stieren. Alle Stiere wurden nach strengen Kriterien gezüchtet, sie durften ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten, die Altersangabe musste stimmen, und, was am wichtigsten war, sie mussten mutig und unerschrocken sein.
„Ein feiger Stier ist eine Schande für einen Torero. Das gilt auch umgekehrt, ein feiger Torero ist eine Schande für einen mutigen Stier“, erzählte Ruy seinem Sohn, der mit großen Augen aufmerksam zuhörte.
Dann führte ein schmaler Weg mit Viehrosten, die die Tiere daran hinderten, auf andere Weiden zu laufen, zur Estancia. Stiere waren jedoch weit und breit nicht zu entdecken.
„Im Sommer bleiben die Tiere da, wo es das meiste Wasser gibt. Stierzucht ist eine aufwendige und teure Sache, man darf nichts dem Zufall überlassen“, erklärte Ruy.
„Das verstehe ich nicht. Sie müssen doch sowieso sterben“, erwiderte Davina. Sie hatte noch nie einen Stierkampf gesehen. Ruy hatte damals versucht, ihr klarzumachen, es ginge dabei nicht um die Lust am Töten und Blutvergießen, sondern es sei noch ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Ganz früher hätten die Männer die Fruchtbarkeitsgöttin verehrt, und der Mann, der zu ihrer Partnerin ernannt worden sei, habe ein Jahr als König regiert. Danach habe man ihn geopfert, um immerwährenden Wohlstand zu sichern. Später hätte man an Stelle der Männer Stiere geopfert, und daraus habe sich dann der Stierkampf entwickelt. Für einen Spanier sei es normal und beinah schon so etwas wie eine Zeremonie, einem Stierkampf beizuwohnen. Um einen toten Stier, der sehr tapfer gewesen sei, würde genauso getrauert wie um den Tod eines guten Matadors.
Schließlich kamen sie vor dem lang gestreckten, zweistöckigen Gebäude mit der umlaufenden Veranda an. Schmiedeeiserne Gitter schmückten den Balkon und die Fenster. Zwischen den rot blühenden Bougainvilleen hindurch sah man die weiß angestrichenen Gitter in der Nachmittagssonne leuchten.
Sogleich kam Rodriguez mit einer kleinen, rundlichen Frau auf sie zugeeilt. Die Frau hob Jamie aus dem Wagen, drückte ihn an sich und sagte etwas auf Spanisch, während Davina Mühe hatte, aus dem Auto zu steigen. Sie fror nicht mehr, aber jetzt war ihr viel zu heiß. Das Kleid schien ihr am Rücken zu kleben, und Schweißperlchen standen auf ihrer Stirn. Ihr ganzer Körper tat weh, sie war erschöpft und sehnte sich danach, sich hinlegen zu können.
„Dolores meint,
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