Romana Exklusiv 0188
schütteln. Sofort klappte der Schirm wieder um, und Julian gab ihn ihr zurück.
Als er dabei flüchtig ihr Handgelenk berührte, überkam sie ein seltsames Gefühl. Er war so groß und stand so dicht vor ihr. Frankie hatte beruflich ständig mit Männern zu tun, ohne dabei eingeschüchtert oder verwirrt zu sein. Jetzt bemerkte sie erstaunt, dass sie beides war. Und sie mochte den Mann noch nicht einmal!
Dann hob er ihre schlammbespritzte Aktentasche auf und reichte sie ihr ebenfalls. Diesmal achtete Frankie sorgfältig darauf, dass ihre Hände sich nicht berührten.
„Vielen Dank“, sagte sie gestelzt und gleichzeitig so unwillig, dass sie sich unter anderen Umständen ihres Verhaltens geschämt hätte. Im Augenblick jedoch war sie so mit ihren Gefühlen beschäftigt, dass sie solchen Kleinigkeiten keine Bedeutung beimaß.
„Keine Ursache.“ Julian hatte sich offenbar auf seine gute Erziehung besonnen. „Sie sind völlig durchnässt und kommen besser mit ins Haus. Allerdings muss ich Sie warnen, es ist nicht besonders warm dort. Heute Morgen hat der Boiler seinen Geist aufgegeben, und der Installateur kann erst morgen kommen.“
Sie zwang sich zu einem Lächeln.
„Handwerker haben nie Zeit. Sie sollten froh sein, dass er morgen kommt und nicht erst Freitag in einer Woche.“
Er hob seine Last wieder hoch.
„Zum Glück haben wir die hier“, meinte er. „Es sind Holzscheite für den Kamin. Wir lagern sie an verschiedenen Stellen, aber man kann sie erst benutzen, wenn sie durchgetrocknet sind – daher die Plane. Folgen Sie mir. Sie müssen entschuldigen, dass ich Ihnen den Rücken zukehre, doch der Pfad ist zu schmal für zwei, und ich sollte wohl vorausgehen.“
Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Der Pfad führte über einen kleinen Hügel, und von oben sah sie im Tal ein großes strohgedecktes Haus aus grauem Stein, das ziemlich abgelegen war. Auf einer von Rhododendronbüschen gesäumten Einfahrt stand ein Kombi, und trotz des trüben Wetters und der schlechten Sicht war unverkennbar, dass es sich um ein schönes Fleckchen Erde handelte.
Kurz darauf öffnete Julian Tarrant die unverschlossene Tür und trat beiseite, um Frankie vorgehen zu lassen. Sie fröstelte und gab ihm insgeheim recht. Das Haus war alt und daher klamm, wenn es nicht beheizt wurde. Langsam ließ sie den Blick durch das Wohnzimmer schweifen. An der niedrigen Decke befanden sich Eichenbalken, und die Gardinen und Möbelüberwürfe waren aus demselben Stoff. Lampenschirme in geschmackvollen Farben und diverse Schalen mit Trockenblumen ließen auf eine weibliche Hand schließen. Doch es war weit und breit keine Frau zu sehen.
Julian kniete sich vor den großen Kamin und schichtete darin Holzscheite und zusammengeknülltes Papier auf. Er konzentrierte sich so sehr auf seine Arbeit, dass er Frankie gar nicht beachtete. Aus irgendeinem Grund ärgerte sie das, und als er ein Streichholz anzündete und die Flammen zu züngeln begannen, sagte sie: „Ich dachte immer, dass man dabei zwei Hölzer aneinanderreibt.“
„Schon möglich, aber ich bin nie bei den Pfadfindern gewesen“, erwiderte er trocken, was sie umso mehr aufbrachte.
Nun, da er die Mütze abgenommen hatte, sah sie, dass sein Haar noch heller als ihres war – fast silberblond. Seine Augen waren eisblau, und sein Gesichtsausdruck verriet nicht nur Autorität, sondern auch Lebenserfahrung und übermäßige Zurückhaltung. Dieser Mann ist mehrfach durch die Hölle gegangen, ging es Frankie durch den Kopf, aber das würde er niemals zugeben. Und er war jünger, als sie zunächst angenommen hatte – höchstens Ende dreißig, schätzte sie.
Er zog seine Jacke aus und bedeutete ihr, dasselbe zu tun.
„Ich weiß, dass es hier kalt ist, doch Sie sollten lieber Ihre nassen Sachen ausziehen“, sagte er. „Ich hänge sie zum Trocknen in die Küche.“
Nachdem er das Wohnzimmer verlassen hatte, trat Frankie ans Fenster und blickte hinaus. Obwohl es erst später Nachmittag war, war es fast dunkel. Der Wind war noch stärker geworden, sodass der Regen gegen die Fensterscheiben peitschte. Sie erschauderte und kehrte an den Kamin zurück. In diesem Moment kam Julian herein, eine Öllampe in der Hand.
„Haben Sie überhaupt keinen Strom?“, fragte sie erstaunt.
„Nein. Der Strom ist wegen des Sturms gestern Nacht ausgefallen. Da es hier kein Gas gibt, funktioniert nichts mehr. Ich wollte in Ihrem Büro anrufen, um den Termin wegen des Wetters zu
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