Romana Exklusiv 0197
klar: Sie musste unbedingt eine Zeit lang weg von allem, um in Ruhe nachdenken zu können.
„Wir brauchen gar nicht zu versuchen, dich umzustimmen, denn du meinst es offenbar ernst.“ Ihre Mutter kannte sie wirklich sehr gut.
„Du liebe Zeit, was für eine verrückte Idee!“, warf Todd ein.
„Halt den Mund“, fuhr Lysan ihn an.
„Hört auf, ihr beiden“, mischte Marjorie Hadley sich ein, wohl wissend, dass ihre Kinder füreinander durchs Feuer gegangen wären. „Hast du es Noel schon mitgeteilt?“
„Nein.“
„Wohin genau willst du denn fahren?“, fragte ihr Vater.
„Darüber denke ich noch nach.“
„Dann fliegst du am besten nach Chile, weil du dort in der Nähe von Enrico Viveros sein würdest, was mich beruhigen würde. Außerdem …“
„Vater, ich bin zweiundzwanzig!“, unterbrach Lysan ihn.
„Und nicht mehr mein kleines Mädchen, ich weiß“, neckte er sie. „Vor einem Jahr war ich noch dein Daddy, gestern noch Dad und heute nennst du mich plötzlich Vater!“
„Ach, du!“ Lysan lachte.
Als sie später im Bett lag, konnte sie selbst kaum glauben, dass ihr Entschluss feststand. Sie hatte noch eine gute halbe Stunde mit ihren Eltern und ihrem Bruder diskutiert und sich bemüht, deren Bedenken zu zerstreuen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie musste nur noch Noel informieren. Ihre Gedanken wanderten zu Enrico Viveros. Findet er mich überhaupt attraktiv?, überlegte sie. Er wirkte so männlich, stark, weltgewandt, geistreich und kultiviert – und ganz anders als Noel.
Lysan seufzte und fragte sich, weshalb sie jedes Mal Herzklopfen bekam, wenn sie daran dachte, Enrico Viveros bald wiederzusehen, während sie sich andererseits beinah eingeredet hätte, gefühlskalt zu sein. Irgendwie ließ sich das eine nicht mit dem anderen vereinbaren.
Natürlich werde ich ihn nicht gleich bei meiner Ankunft besuchen, nahm sie sich vor. Sie würde sich zunächst das Land anschauen, und wenn sie dann noch Zeit hätte, würde sie ihn anrufen, einfach nur höflichkeitshalber.
Am nächsten Vormittag ließ sie sich vorsorglich gegen bestimmte ansteckende Krankheiten impfen, weil ihr Vater es so wünschte. Dann buchte sie den Flug. Und bis zum Abflug nach Santiago de Chile Anfang Dezember hatte sie keine Sekunde Zeit mehr für sich selbst.
Nachdem das Flugzeug gestartet und in der Luft war, überlegte Lysan, ob es richtig war, was sie da tat. Sie hatte sich einen Monat Urlaub genommen und plante, zweieinhalb Wochen in Chile zu bleiben. Kurz vor Weihnachten wollte sie wieder zu Hause sein. Die Weihnachtsgeschenke und auch Noels Geburtstagsgeschenk hatte sie schon gekauft, um nach ihrer Rückkehr nicht in Zeitdruck zu geraten.
Noel hatte die Neuigkeit nicht gefallen. „Ich kann doch nicht mitkommen“, hatte er eingewandt. „Im Moment kann ich mir höchstens drei oder vier Tage freinehmen.“
„Ja, ich weiß. Aber ich habe schon lange keine Ferien mehr gemacht, und ich sehne mich nach Sonne und Wärme.“
„Kannst du dich nicht ein bisschen gedulden? Im neuen Jahr können wir zusammen in Urlaub fahren. Wenn deine Mutter nicht darauf bestehen würde, dass wir das Trauerjahr abwarten, könnten wir sofort heiraten und …“
„Ach, Noel.“ Sie empfand tiefes Mitlied mit ihm wegen des Verlustes, den er erlitten hatte. „Ich bin doch bald wieder zurück“, versprach sie ihm.
Am Abend vor dem Abflug gab ihr Vater ihr einen Zettel mit Enrico Viveros’ Adresse und Telefonnummer. „Falls du in Schwierigkeiten gerätst, ruf ihn an“, bat er sie. „Er wird dir bestimmt helfen.“
„In was für Schwierigkeiten sollte ich denn geraten?“, scherzte sie. Doch dann wurde ihr bewusst, dass ihre Eltern sich wohler fühlen würden, wenn sie es ihnen versprach. „Okay, für euch tue ich doch alles“, sagte sie lächelnd und küsste ihren Vater auf die Wange. Dann steckte sie den Zettel in die Tasche.
Ihre Eltern, Noel und Todd mit seiner Freundin hatten sie zum Flughafen gebracht. Beim Abschied hatte Lysan sich nicht anmerken lassen, wie nervös sie wegen des vor ihr liegenden Abenteuers war. Sie musste unbedingt eine Zeit lang allein sein, um herauszufinden, weshalb sie auf Noels leidenschaftliche Umarmungen so abweisend reagiert hatte. Außerdem schien Chile förmlich nach ihr zu rufen.
Der lange Flug verlief reibungslos. Viele Passagiere schliefen, Lysan konnte jedoch kein Auge zutun. Am Sonntagmittag landete die Maschine pünktlich in Santiago, und auf einmal freute Lysan sich auf den
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