ROMANA EXKLUSIV Band 0178
Einzige, woran sie denken konnte. Ich liebe ihn. So wie dieses kleine Knäuel in ihren Händen gegen das kalte Glas geflogen und durch seine Starre beiseitegeschleudert worden war, war sie Francisco begegnet und erlitt das gleiche Schicksal. Darum war sein Schmerz ihr Schmerz. Darum war ihr, als brächte jedes im Zorn gesprochene Wort sie in die Hölle. Und sie hatte es vom ersten Tage an irgendwo tief in ihrer Seele gewusst, als er sie auf der Straße gerettet und die Zitadelle ihres Herzens gestürmt hatte. Was sollte sie tun? Sie stöhnte leise. Was konnte sie tun? Nichts.
Zwei Stunden später hielt sie den kleinen Spatz noch immer. Benita klopfte und brachte ihr den Morgentee. Die Augen der Hausangestellten wurden groß, als Laura erklärte, was geschehen war, und um eine Schachtel bat.
„Eine Schachtel, Señorita ?“ Benita starrte sie an, als sei sie verrückt. „Nein, keine Schachtel. Geben Sie ihn mir, ich …“ Sie machte eine unmissverständliche Geste mit den Händen, und Laura trat vor Entsetzen einen Schritt zurück.
„Bringen Sie mir eine Schachtel“, wiederholte sie wütend. „Und wagen Sie es nicht, den Vogel auch nur anzurühren.“
Diese neue Seite von Laura war für Benita wie ein Schock. Sofort verschwand sie wortlos, doch ihr Blick sprach Bände. „Gut, dass du nicht gegen ihr Fenster geflogen bist“, flüsterte Laura dem kleinen Vogel zu. „Denke bei deinem nächsten Morgenausflug daran.“ Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, das kleine Ding könne vielleicht sterben. Plötzlich hatte das Schicksal des kleinen Vogels eine Bedeutung, die weit über die normale Sorge hinausging, die sie je für ein Tier in einer ähnlichen Situation empfunden hatte. Er musste weiterleben. Er durfte nicht aufgeben. Sein Schicksal war mit ihrem verknüpft.
Als sich die Tür hinter ihr wieder öffnete, sprach sie mit ungewöhnlicher Schärfe. „Ich hoffe, Sie haben die Schachtel gebracht, Benita. Ich behalte ihn bei mir.“
„Genügt diese hier?“ Sie zuckte so heftig zusammen, als sie Franciscos tiefe weiche Stimme hörte, dass sie den Vogel fast fallengelassen hätte. Francisco stellte eine mit Papiertüchern gefüllte Schachtel neben sie auf den Boden. „Darf ich sehen?“
Als sie ihm das kleine Ding reichte, schaute sie ihn zum ersten Mal wieder an. Ihre Liebe zu ihm war so groß, dass ihr Herz dabei schmerzte. Er sah unendlich müde aus. Die tiefen Linien um seinen Mund und die Augen wirkten wie mit einem Messer geschnitten. Francisco bemerkte es nicht, da er den Vogel anschaute. Behutsam betastete er den kleinen Leib und entfaltete nacheinander die beiden Flügel.
„Als Arzt, allerdings nicht als Tierarzt, würde ich sagen, er hat keine inneren Verletzungen“, sagte er ruhig, während er den Vogel in die Schachtel legte. „Wahrscheinlich ist er nur benommen.“
„Das denke ich auch“, stimmte sie eifrig zu. „Er macht schon einen besseren Eindruck.“
„Wie sollte es anders sein, wenn du dich um ihn kümmerst?“ Er richtete sich auf und blickte auf sie herab. Ein seltsamer Ausdruck war in seinem Gesicht. „Ich schlage vor, wir lassen ihn in Ruhe. Nach dem Frühstück können wir versuchen, ihn fliegen zu lassen. Vielleicht wird ihn der Gesang anderer Vögel von seinem Schock befreien.“
Und was wird dich befreien?, fragte sie stumm, während sie zustimmend nickte. Was kann dich bewegen, diese undurchdringliche Mauer einzureißen, die du um dich errichtet hast?
Heute war ihr letzter Tag in Spanien. Der Gedanke hämmerte in Lauras Kopf, als sie sich duschte und automatisch anzog. Morgen würde sie nur noch eine Erinnerung für Francisco sein – und er für sie? Sie würde ihn immer lieben. Wenn sie ihn nicht haben konnte, wollte sie keinen anderen haben, auch wenn das bedeutete, den Rest ihres Lebens allein zu verbringen. Sie betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Es war fast geisterhaft blass.
Beim Frühstück brachte sie keinen Bissen herunter. Sie bemerkte, dass Francisco auch nur ein paar Tassen Kaffee trank. Sofort danach holte sie die Schachtel aus ihrem Zimmer. Er wartete in der Halle auf sie. Stumm schaute er in die Schachtel, nahm das winzige Federbündel behutsam heraus und trug es in den Garten. Laura begleitete ihn.
„Jetzt liegt es bei dir, Kleiner“, sagte er, während er den Vogel ins Gras setzte.
Die Sonne schien warm auf Lauras Haut, als sie in der ruhigen Luft dastand und beobachtete, wie diese hochgewachsene, kräftige Gestalt so zärtlich vor dem
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