Romana Extra Band 3
Lorenzo aus. „Komm her, kleiner Mann. Soll ich dich tragen?“
Der Junge sah Maisy fragend an, und als sie nach kurzem Zögern nickte, ließ er sich auf den Arm nehmen.
Jetzt erst fand Maisy Gelegenheit, Alessandro näher zu betrachten. In Jeans und T-Shirt wirkte er jünger als bei ihrer letzten Begegnung. Vermutlich war er nur wenige Jahre älter als sie, nicht über dreißig, dennoch umgab ihn eine Aura von Weltgewandtheit, Macht und Reichtum. Wie soll ich mich nur gegen ihn durchsetzen? überlegte sie verzweifelt. Allein der Gedanke an Lorenzo verlieh ihr den nötigen Mut.
„Wo haben Sie die letzten sieben Tage gesteckt?“
„Das ist egal, jetzt bin ich ja hier.“
„Und wie lange gedenken Sie zu bleiben?“, fragte sie betont gleichmütig, insgeheim aber brennend an der Antwort interessiert.
„Ich habe mir drei Tage freigeschaufelt.“
„Das ist nicht viel“, kritisierte sie.
„Mehr kann ich nicht erübrigen“, erwiderte er in einem Tonfall, der bedeutete, dass weitere Fragen nicht angebracht waren. „Würden Sie mir erklären, weshalb Sie den gefährlichen Ausflug in die Stadt unternommen haben?“ Er schob die Sonnenbrille hoch und steckte sie sich ins Haar.
„Gefährlich? Ich bin eine gute Autofahrerin und immer sehr vorsichtig“, erklärte sie. „Nach sieben Tagen an ein und demselben Ort ist mir einfach die Decke auf den Kopf gefallen“, gestand sie ihm den wahren Grund.
Er lächelte. „Sie haben sich gelangweilt, cara ?“
Der verständnisvolle Ton und die Bezeichnung als seine „Liebe“ überraschten sie. Vermutlich war er allerdings gegenüber allen Frauen unter dreißig so charmant.
„Das nicht gerade.“ Sie wusste nicht, wie viel Offenheit sie sich leisten konnte. In der Villa fehlte es ihr an Gesprächspartnern, zudem hatten Maria und die Nachtschwester einen Teil ihrer bisherigen Pflichten übernommen. Sie hatte weniger als zuvor zu tun und kam sich mit ihren dreiundzwanzig Jahren ein wenig vor wie lebendig begraben.
„Ich wollte mir die Stadt ansehen und mich mit den Gegebenheiten vertraut machen.“
„Das ist Ihnen gelungen. Den Pfiffen nach zu schließen, steht bald die gesamte männliche Bevölkerung von Ravello vor der Villa Schlange.“
„Ich habe sie nicht darum gebeten, mir hinterherzupfeifen.“
„Ihr Kleid genügt als Einladung.“
Empört begehrte sie auf: „Was unterstellen Sie mir?“
„Ich bin für Lorenzo verantwortlich und erwarte, dass Sie sich wie eine Dame benehmen“, erwiderte er schlicht, wirkte dabei aber seltsam angespannt.
Maisy war wie vor den Kopf geschlagen. Inwiefern hatte sie das nicht getan? Was war falsch an einem Tagesausflug in die Stadt? Und was an ihrem knielangen Kleid mit dem dezenten Ausschnitt wirkte aufreizend? Sie fühlte sich an den Moment in ihrem Zimmer in London zurückversetzt, als sie mit nichts bedeckt als einem Handtuch vor ihm gestanden hatte, überwältigt von seiner Gegenwart. Hielt er sie für eine Frau, die leicht zu haben war?
Tatsächlich hatte sie in seiner Gegenwart alle Hemmungen fallen lassen – zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben –, und das lag allein an ihm. Aber das konnte sie ihm nicht erklären, ohne sich vollkommen zum Narren zu machen.
Lorenzo lehnte zufrieden an Alessandros Schulter und betrachtete vergnügt die Welt von oben herab. Bei seinem Anblick verkrampfte sich alles in Maisy. Aus Rücksicht auf ihn musste sie gegen ihre alberne Schwärmerei ankämpfen.
„Sie sind auf einmal so still“, stellte Alessandro fest.
„Entschuldigung. Ich wusste nicht, dass es zu meinen Pflichten gehört, Sie zu unterhalten. Außerdem wollte ich nicht den Eindruck erwecken, mich an Sie ranzuschmeißen.“ Erschrocken presste sie die Lippen zusammen. Das hätte sie nicht sagen sollen.
Alessandro musterte sie eindringlich, dann lenkte er in versöhnlichem Tonfall ein: „Selbstverständlich können Sie ausgehen, wenn Sie es wünschen. Aber bringen Sie keine Männer mit in die Villa.“
Sie blieb mitten auf dem Weg stehen, ohne auf die vielen Leute ringsum zu achten, ohne an Lorenzo zu denken, der, obwohl noch sehr jung, eine solche Unterhaltung besser nicht mitbekommen sollte. „Ich begreife sehr wohl, dass Sie eine ausgesprochen schlechte Meinung von mir haben. Da ich nichts Unrechtes getan habe, denke ich allerdings nicht daran, mich zu verteidigen.“
Ich bin ein Idiot, schalt Alessandro sich. Er war ungerecht zu ihr, weil er sich provoziert fühlte. Einer hübschen Frau wie ihr
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