Romana Gold Band 11
angestrengt darüber nach. Natürlich, es war offensichtlich: Er hatte sie nur eingeladen, damit sie nicht weiter ihre Familiengeschichte erforschte.
Jamsey nahm sich keine Zeit für die übliche Morgendusche, sondern spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um ganz wach zu werden. Eigentlich war das nicht nötig – ihr Herz klopfte bereits heftig vor Vorfreude. Sie sagte Merle kurz Bescheid. Dann zog sie sich eine dicke Baumwollbluse an und schlüpfte schnell in ihre verblichenen Jeans. Eilig holte sie ihre Stiefel unterm Bett hervor und zog sie an.
„Du kommst doch zurecht, oder?“, fragte sie Merle besorgt. „Nimm dir etwas zu essen – es ist genug da. Oder du wartest, bis ich zurück bin, und dann braten wir uns frischen Fisch, das wird bestimmt sehr lecker.“
„Igitt“, murmelte Merle und kuschelte sich wieder tief unter die Bettdecke. Jamsey schnappte sich schnell ihre Kamera und lief die Treppe hinunter. Ron musterte sie und hob die Augenbrauen. Sie war ihm ein Rätsel – einerseits war sie unabhängig und selbstbewusst, andererseits strahlte sie eine Verwundbarkeit aus, die er sich nicht erklären konnte.
„Sind Sie fertig?“, fragte er.
„Ich sagte doch, es dauert nur zwei Minuten.“
„Ich habe drei gezählt.“
„Dann haben Sie zu schnell gezählt.“
Ungeduldig ging er zum Auto hinaus, und Jamsey folgte ihm. Als sie es sich auf dem Sitz bequem machte, berührte ihr Oberschenkel für einen Moment sein Bein, und beide zuckten wie elektrisiert zurück.
„Da ist Kaffee – bedienen Sie sich“, sagte er und deutete auf die Thermoskanne auf der Ablage. Jamsey goss sich ein und trank in kleinen Schlucken. Ron bog von der Hauptstraße ab und fuhr einen kurvenreichen, steilen Weg hinauf in die Berge. Es war noch dunkel. Das Licht der Scheinwerfer erhellte nur schemenhaft Bäume und Farmen, an denen sie vorbeifuhren. Plötzlich bremste er scharf. Der Kaffee aus Jamseys Tasse schwappte über und spritzte auf ihre Jeans. Sie schrie auf, als die heiße Flüssigkeit durch den Stoff auf die Haut drang, und wollte gerade protestieren, als sie sah, warum er so abrupt angehalten hatte. Ein ausgewachsener Hirsch stand in majestätischer Haltung vor ihnen auf der Straße. Wie eine Krone trug er sein prächtiges Geweih stolz auf dem Kopf. Das Tier starrte sie einen Moment an, als wären sie Eindringlinge, zeigte aber keine Furcht. Überraschend schnell verschwand es dann im Dickicht.
„Und ich habe kein Foto gemacht“, rief Jamsey enttäuscht und hatte den nassen Fleck auf ihren Jeans völlig vergessen.
„Sie werden heute noch viele Tiere sehen“, beruhigte er sie und fuhr langsam wieder an.
„Wirklich?“, fragte sie begeistert. Er nickte und lachte jungenhaft. Dann sah er sie von der Seite an, aber ihre Aufmerksamkeit war ganz auf die Wälder gerichtet – sie wollte nichts versäumen.
„Wir fahren ziemlich weit“, bemerkte sie nach einiger Zeit spitz.
„Ja, aber das ist es wert“, antwortete er schnell.
„Es gibt wohl keinen geeigneten Ort zum Fischen, der näher liegt“, sagte sie scharf und sah auf ihre Uhr. Überrascht über ihren Tonfall, warf er ihr einen kurzen Blick zu und runzelte die Stirn.
„Gut Ding will Weile haben“, erwiderte er spöttisch. Irgendetwas stimmte nicht, aber ihm gefiel der wütende Blick in ihren ausdrucksvollen Augen.
„Da haben Sie recht, Mr Stewart, und auch wenn ich heute aufgehalten werde, werde ich doch meine Familiengeschichte weiter erforschen“, antwortete sie kühl, und ihre Augen funkelten.
„Das ist doch lächerlich“, meinte er verärgert. „Ich habe Sie eingeladen mitzukommen, weil …“
„Sparen Sie sich Ihre Erklärungen“, unterbrach sie ihn kühl. „Halten Sie mich denn für so naiv?“
„Glauben Sie wirklich, ich würde Sie zum See mitnehmen, um Sie von dieser dummen Idee abzuhalten?“ Sein humorloses Lachen erzürnte Jamsey noch mehr.
„Es ist keine dumme Idee. Ich bin überzeugt, dass Sie unrecht haben, und möchte die Wahrheit wissen“, erwiderte sie aufgebracht und zeigte mit dem Finger auf ihn, Ron wandte sich ihr zu und blickte sie mit seinen stahlgrauen Augen eiskalt an.
„Hören Sie gut zu“, sagte er leise und drohend. „Zeigen Sie nie wieder mit dem Finger auf mich, als wäre ich ein unartiger Schuljunge. Sie liegen falsch, wenn Sie mir Hintergedanken unterstellen. Ich habe Sie zum Fischen mitgenommen, um mich für das Mittagessen zu bedanken. Wenn Ihnen das nicht passt, kann ich sofort
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