Romana Gold Band 13
arbeiten zu wollen. Niemand hatte eine Ahnung, wovon er jetzt lebte. Die seltenen Briefe an seine Mutter waren gewöhnlich sehr kurz. Sie kamen stets aus dem Ausland, und obwohl Mrs Drayford immer ausführlich antwortete, fand sie nie den Mut, hinzufliegen und ihren Sohn aufzusuchen. Als diesmal ein Brief aus einem Dorf auf Kreta gekommen war und Mrs Drayford von Carolines Reiseplänen erfahren hatte, war ihr die Gelegenheit günstig erschienen. Vor allem konnte sie sich auf Carolines Diskretion verlassen. Was sie auch herausfand, würde in der Familie bleiben. Es würde keinen Skandal geben, und darauf legte Mrs Drayford großen Wert.
Christophers Eltern mochten Caroline sehr gern, wenn auch die Hammonds nicht aus derselben sozialen Schicht kamen wie die Drayfords. Doch Caroline war Mrs Drayford willkommen, und da sie nun sogar ein kleines Geheimnis teilten, hatte sie Caroline beim Abschied sogar erstmals in den Arm genommen und ihr verschwörerisch zugezwinkert.
Als Caroline jetzt nach einer zermürbenden Fahrt über eine von Schlaglöchern übersäte Straße aus dem gemieteten Jeep stieg, fragte sie sich, wie Rafe Drayford jetzt wohl aussah. Fünf Jahre waren eine lange Zeit, und vielleicht hatte er sich so verändert, dass sie ihn gar nicht erkannte. Damals war er groß, dunkel und gut aussehend gewesen. Unter den jungen Frauen seines Heimatortes hatte Rafe immer für einiges Aufsehen gesorgt. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Christopher, der schmaler und fast einen Kopf kleiner war, hatte immer in seinem Schatten gestanden.
Die Drayfords lebten auf Virginia Grove, einem prächtigen Landsitz außerhalb der Stadt. Sie waren reiche Grundeigentümer, und die Anwaltskanzlei, der Robert Drayford vorstand, hatte einen internationalen Ruf. Christopher war dort inzwischen auch als Anwalt tätig. Auch Rafe hatte nach seinem Examen kurze Zeit dort gearbeitet, doch nach einem heftigen Streit hatte Robert Drayford seinen ältesten Sohn angeschrien: „Geh mir aus den Augen!“ Wortlos hatte Rafe daraufhin Virginia Grove verlassen und war nie zurückgekehrt.
Das letzte Mal hatte Caroline ihn bei einem Gartenfest zugunsten der örtlichen Kirche gesehen. Die junge Frau, die ihn begleitet hatte und schlank und elegant wie ein Model gewesen war, stammte ebenfalls aus einer reichen Familie. Sie hatte besitzergreifend die Hand auf Rafes Arm gelegt und dabei triumphierend gelächelt, als wollte sie sagen: „Seht nur alle her, wen ich mir geangelt habe.“
Caroline hatte bei der Tombola ausgeholfen und gedacht: Hoffentlich täuscht sie sich nicht. Sie hatte die Unruhe in Rafes Augen sehen können und fast erwartet, dass er die Hand seiner Begleiterin abschüttelte und verschwand. Wenige Tage später hatte er Virginia Grove verlassen.
Viel später, als sie schon mit Christopher zusammen war, hatte dieser ihr erzählt, dass es der jungen Frau damals fast das Herz gebrochen hätte. Rafe hatte sie ohne Vorwarnung sitzenlassen und sich nie wieder bei ihr gemeldet. Außerdem hatte Christopher noch angedeutet, dass fehlendes Geld der Grund für den Streit im Hause Drayford und für Rafes überstürztes Verschwinden gewesen war.
Nach allem, was Caroline jemals über Rafe Drayford gehört hatte, war er ein eigennütziger Kerl, der nur seine eigenen Interessen verfolgte. Er war ihr reichlich unsympathisch, doch sie sollte nun einmal diesen Brief überbringen … und außerdem war sie neugierig.
Sie hatte jetzt einen Platz mit einer mächtigen Platane und einem Brunnen in der Mitte erreicht, von dem zahlreiche schmale Gassen abgingen. Die geschlossenen Fensterläden wirkten abweisend, und sogar die Tür der weißen Kirche war verschlossen. Die Luft war kalt, und Caroline war froh, dass sie einen dicken Mantel trug. Sie schlang sich den Schal um die Ohren und schob ihre Hände tief in die Taschen. Der Beginn dieses Ausflugs war nicht gerade ermutigend. Rafe Drayford konnte in jedem dieser Häuser wohnen, oder in keinem.
Man hatte ihr nicht einmal einen Straßennamen genannt. Sie kannte nur dieses Dorf und Rafes Namen … falls er den überhaupt noch benutzte und nicht eine neue Identität angenommen hatte. Sie hätte seine Mutter nach einem Foto fragen sollen.
Ihr selbst war es ziemlich egal, ob sie Rafe fand, doch seiner Mutter zuliebe wollte sie es wenigstens versuchen. Vielleicht war diese Suche ein gutes Training. Sie, Caroline, war selbst auf einer Entdeckungsreise, auf den Spuren eines Mannes, der lange vor ihrer Geburt
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