Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
wenn auch weniger dramatischer Fall wie damals bei dem Schriftsteller Salman Rushdie. Rushdie und alle, die sich mit ihm einließen, wurden von Islamisten bedroht. Einige Verlage hatten Angst davor, weiterhin seine Bücher herauszubringen.
Jemand wird bedroht, und als Reaktion darauf wird sein Recht auf Öffentlichkeit eingeschränkt.
Natürlich geht es bei der Meinungsfreiheit nicht darum, ob ich oder Sie, der Sie dies lesen, eine bestimmte Meinung teilen oder sympathisch oder auch nur nachvollziehbar finden. Thomas Paine, ein Gründervater der USA, hat den Satz geschrieben: »Wer seine eigene Freiheit sichern will, muss selbstseinen Feind vor Unterdrückung schützen.« Diesen Satz findet fast jeder gut. Wenn es aber mit der Unterdrückung des Feindes konkret wird, beginnen meistens die Schwierigkeiten.
Ich habe die Resolution nicht unterzeichnet. Viele Bekannte rieten ab. Ich würde in ein schiefes Licht geraten. Unterschrieben hatten am Ende fast nur Konservative, Leute wie Joachim Fest oder Wolf Jobst Siedler. Die Liberalen hatten versagt, bei einem Thema, das ihnen am Herzen liegen müsste, der Meinungsfreiheit. Das politische Lagerdenken war ihnen wichtiger als die Freiheit. Auch ich hatte versagt. In Deutschland fragt man sich in so einer Situation natürlich, wie mutig man wohl 1933 gewesen wäre, wenn man schon unter den komfortablen Bedingungen der Demokratie feige ist. Das Verbot des Standes wurde von der Messe übrigens zurückgezogen, als Reaktion auf die Proteste.
Gibt es Grenzen der Meinungsfreiheit? Selbstverständlich. Kein Recht gilt absolut, nicht einmal das Recht auf Leben (der Staat darf Soldaten in den Krieg schicken). Jedes Recht stößt mit seinen Grenzen an andere Rechte, ständig muss abgewogen werden, in den großen wie in den banalen Fragen – Fußgänger gegen Autofahrer, Elternrechte gegen Kinderrechte, das Individuum gegen den Staat, Freiheit der Religion gegen Freiheit der Meinung.
Wo liegt die Grenze? Eine einfache, klare Antwort, auf die man sich leicht einigen kann, lautet so: Die Grenze liegt dort, wo zur Gewalt aufgerufen oder Gewalt gepriesen wird. Die Meinung bedient sich des Wortes, Sprache ist ihr Werkzeug. Wer zur Gewalt aufruft, wirft dieses Werkzeug weg und greift nach etwas anderem.
Leider ist es mit dieser einfachen Antwort nicht getan.Auch Sprache kann Wunden schlagen, Beleidigungen sind deshalb, ab einem gewissen Grad, verboten. Seit die Welt eng zusammengerückt ist, stoßen auch verschiedene Beleidigungs- und Bildkulturen aneinander. Wessen Recht gilt? Wessen Gefühle müssen respektiert werden?
In seiner eigenen Wohnung darf jeder seinen Lebensstil selber bestimmen, und wer zu Besuch kommt, hat sich an die Regeln zu halten, die in der jeweiligen Wohnung gelten. Wer rauchen möchte, muss in einer Nichtraucherwohnung auf den Balkon gehen, oder er sollte von einem Besuch absehen. Nur so kann auch in den großen Fragen des Zusammenlebens eine praktikable Lösung aussehen. Wer in den islamischen Ländern über Religion spottet, verhält sich, auch nach unserem eigenen Kulturverständnis, unhöflich und muss damit rechnen, dass er Probleme bekommt. Bei uns zu Hause, oder in Dänemark, halten wir es aber anders. Und niemand kann unsereinem die Hoffnung verbieten, dass sich auch in der islamischen Welt allmählich ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit durchsetzt. Weil ein freies Leben in vieler Hinsicht angenehmer ist als ein unfreies, darf der Westen zuversichtlich sein – auf lange Sicht besitzt sein Konzept der Freiheit die größere Sogkraft und bringt das stärkere Wirtschaftssystem zustande.
Auch in Deutschland und Österreich haben wir eine eigene Kultur der Meinungsfreiheit, die sich von anderen Ländern des Westens unterscheidet. Der britische Historiker David Irving ist in Österreich wegen Leugnung des Holocaust zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden, in England oder den USA wäre ihm das nicht passiert. Es macht aber tatsächlich einen Unterschied, ob der Holocaust in Deutschland geleugnet wird oder in England. Historische Verantwortung bedeutetunter anderem: Bei uns müssen es sich die Überlebenden der Todeslager nicht bieten lassen, als Lügner an den Pranger gestellt zu werden. In ein paar Jahren, wenn es keine Überlebenden mehr gibt, denkt man vielleicht anders. Denn im Prinzip müssen pseudowissenschaftliche Verrücktheiten selbstverständlich erlaubt sein. Manche Historiker bestreiten sogar die Existenz eines ganzen Jahrhunderts
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