Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Daumen möglichst gerade hinund herwedeln, nicht etwa in einem Bogen, wie ein Scheibenwischer. Das Tempo des Wedelns ist nicht vorgeschrieben.
Auf diese Weise, sagt Steven, lassen sich zwei Drittel aller negativen Gefühle oder Problemdateien im Gehirn sozusagen wegprogrammieren oder ausradieren. Nein, noch besser: wegwedeln. Das sei eine coole Sache. Es funktioniere so ähnlich wie die REM-Phase beim Schlaf, das ist die Phase, in der man die Augen heftig hin- und herbewegt und besonders viel träumt. Fast alle höheren Tiere haben eine REM-Phase, zu den wenigen Ausnahmen gehört interessanterweise der Ameisenigel.
Erfunden habe die Methode eine Ärztin, die gerade erfahren hatte, dass sie an Krebs leidet, da war sie natürlich voller negativer Gefühle. Sie lief auf einer Allee, die Sonne schien, und das Sonnenlicht wechselte sich in ihren Augen, wegen der Bäume, immerzu mit Schatten ab. Sie wedelte! Plötzlich sah sie alles viel positiver.
Viele Männer schreiben mit, die Frauen eher nicht. Bei mir löst die BHS eigentlich nur Kopfschmerzen aus. Bin ich eine Art Ameisenigel? Immerhin, das Gehirn reagiert.
Ella Kensington, oder Bodo, beteuert, dass die Methode wissenschaftlich sei, das werde von »mehr als 20 Studien belegt«. Die Grundidee – das habe ich in einem Internetforum gefunden – lautet, in einem Satz: »Du bist Schöpfer deiner eigenen Realität.« Ich finde, das kann man so sehen. Jeder lebt doch sozusagen in seiner eigenen Welt, oder? Man kann es aber auch anders sehen. Manche werfen der Organisation im Internet vor, sie sei eine Art Sekte, dagegen gibt es dann immer heftigen Widerspruch.
Bei negativen Gefühlen, sagt Steven, kommt es auf die Beurteilung an, man muss die Beurteilung ändern. Wenn der Chef mich wütend anbrüllt, habe ich vielleicht Angst vor Kündigung – das ist die falsche Beurteilung. Die richtige Beurteilung geht zum Beispiel so: Ein brüllender Chef, furchtbar, diesen Job will ich im Grunde kündigen. Wenn aber er mir kündigt, umso besser. Da kriege ich wenigstens sofort Arbeitslosengeld. Ein anderer Schlüsselbegriff heißt »falsche Notwendigkeit«. Man glaubt, alles Mögliche zu brauchen, Partner, Geld, Auto, aber wenn man mal ruhig darüber nachdenkt, stellt man fest, dass es zur Not auch ohne geht. Es ist nicht angenehm, klar, aber man überlebt es. Was braucht man, um glücklich leben zu können? Steven sagt: »Genug zuessen, genug Schlaf, soziale Kontakte. Mehr nicht. Alles andere ist ein nice to have.«
Es sei schlecht, wenn man sich alle Wünsche erfüllen könne. Denn wer alles habe, dann aber feststelle, immer noch nicht glücklich zu sein, der verliere das Wichtigste überhaupt, nämlich die Hoffnung.
Das klingt für mich, zum Teil wenigstens, plausibel. Der meiner Ansicht nach überzeugendste Teil von Stevens Philosophie betrifft die menschliche Gattungsgeschichte. Unsere Vorfahren lebten in ihren Höhlen unter dauernder Lebensgefahr. Jeder Fehler konnte den Ahnen jahrtausendelang das Leben kosten, deswegen reagiert unser Körper heutzutage unangemessen auf Frustration oder Bedrohung. Man reagiert selbst bei kleinen Anlässen so panisch, als ob ein Säbelzahntiger hinter einem stünde, der einen fressen will. In Wirklichkeit ist heute, in einem modernen Sozialstaat, kaum etwas lebensbedrohlich, höchstens unangenehm, und auch da kommt es auf die Beurteilung an. Steven drückt auf den Knopf seiner Musikanlage. Die »Prinzen« singen: »Ab dafür, und raus aus der Kacke.« Klaus, Guido und ich rufen »Ja!« und recken die Fäuste. Und dann denke ich: »Omelette.«
Die Vorteile der Methode sind offensichtlich, und dass die Methode auch bei Männern gut ankommt, liegt nahe. Man muss, im Falle von Unglück, nicht in die Tiefen der Seele hinabsteigen, eine Vorstellung, die Männern meist unangenehmer ist als Frauen. Es funktioniert wie ein Kochrezept. Man nehme dies, man nehme jenes. Man muss nichts ändern. Höchstens den Blickwinkel. Und immer fleißig wedeln, dann blinkt wieder alles. Es ist, als ob man sein Radl putzt.
Nach jeder Übung fragt Steven, bei wem sich die Stimmung verbessert hat und bei wem eher nicht. Wenn jemandimmer noch schlecht drauf ist, sagt er, dass diese Person offenbar ein Problem aus dem letzten, schwierigsten Drittel der menschlichen Probleme hat. Dagegen helfen andere, kompliziertere Übungen, die später drankommen. Aber es melden sich immer nur ein oder zwei hartnäckige Fälle.
Negative Gefühle, sagt Steven, hängen
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