Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Weltkrieges. Er kann mit nichts gerechtfertigt werden, außer damit, dass er militärische Vorteile bringt. Die deutschen Soldaten gehen mit äußerster Brutalität vor, sie stehen unter Zeitdruck. Kaiserliche Truppen massakrieren in Belgien tausende Zivilisten und scheren sich kein bisschen um Ehre und die Regeln der Ritterlichkeit. Wegen des Überfalls auf Belgien erklärt nun auch Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg, der Weltkrieg ist somit komplett.
Verblüffung und Empörung über die britische Kriegserklärung sind in Deutschland fast grenzenlos. Verrat! Perfides Albion! Gott strafe England! Deutschland steht Österreich bei durch dick und dünn, Ehrensache, ist aber total perplex, wenn die Briten bei den Belgiern das Gleiche tun. Es wird gejammert und geklagt im Reich. Den Briten wird wutheulend Rache geschworen. Man ist sehr sensibel und gleichzeitig sehr brutal.
Die Brutalität ist zu einem Teil weggeschmolzen, die Wehleidigkeit ist geblieben. Wenn Deutschland sich aufspielt, wie es in den letzten Jahren ein paarmal vorgekommen ist, wenn es Machtpolitik probiert wie unter Bundeskanzler Schröder und unter Angela Merkel, dann hat das meistens etwas Unprofessionelles, Zögerndes, fast Lächerliches, sozusagen ein Wilhelminismus ohne Wumm dahinter. Wir machen in der Weltpolitik ein bisschen mit, weil das von einem Land dieser Größenordnung und Wirtschaftskraft einfach erwartet wird, sozusagen aus Pflichtbewusstsein. Wenn wir es nicht tun würden, wenn wir einfach mit den Händen in der Hosentasche am Rand stehen bleiben würden wie die Schweiz, dann wäre das auch wieder nicht richtig, und es hieße: Die gehen einen Sonderweg, was ist los mit denen?
Mein Land sieht immer noch stark aus, aber zu echten Kraftakten ist es nicht in der Lage. Wenn Deutschland ein Tier wäre, dann wäre es eine Hummel. Die Hummel sticht nur, wenn sie in Lebensgefahr ist. Mit dem Versprechen, nicht in den Krieg zu ziehen, unter gar keinen Umständen, geschehe, was da wolle, kann man in Deutschland eine Wahl gewinnen. Ist so ein Land nicht ziemlich sympathisch?
Die meisten Deutschen von heute sind Pragmatiker und Durchwurstler. Deswegen sieht unser Sozialsystem inzwischen aus wie ein zehnmal geflickter Fahrradschlauch. Die meisten haben ein tiefverwurzeltes Misstrauen gegen radikale Lösungen, sogar dann, wenn sie vernünftig klingen. Nein danke, wir reparieren lieber, als etwas Neues anzuschaffen. Mit dem Reich des Bösen ist es sinngemäß genauso, egal, was Sie im Einzelnen unter dieser Formulierung verstehen. Es ist vernünftiger, sich mit seiner Existenz abzufinden. Vielleicht kann man ja irgendeinen Deal mit denen machen?
Die historische Erfahrung, dass man mit Fanatikern schlecht verhandeln kann, weil sie sich an keine Abmachungen halten – das ist nicht unsere Erfahrung, sondern die Erfahrung der ehemaligen Feinde Deutschlands. Unsere historische Erfahrung ist die eines Volkes, das verschiedene Spielarten des Fanatismus ausprobiert hat, und unsere Erfahrung lehrt uns, dass man besser nicht nach dem Absoluten und der perfekten Lösung strebt. Das Wort »Endlösung« hören wir nicht gerne. Bleibt uns bloß mit Endlösungen vom Leib, egal, worum es geht! Wenn es irgendwo ein Problem gibt, lasst uns reden. Eine Zwischenlösung findet sich immer. Dann sehen wir weiter.
Seit einigen Jahren gibt es auch bei uns öfter einmal Korruption und Pflichtvergessenheit. Ein Staatssekretär setzt sich mit einem Haufen Geld nach Manila ab. Der Chef der Bundesbankriskiert seinen Job mit einem halbseidenen Trip zum Yachthafen von Monte Carlo. Ein Verteidigungsminister wird liebestoll. Über die Brandenburger Regierung – Brandenburg, das einstige Preußen! – heißt es in der Zeitung: »Im Kabinett häufen sich die Kriminalfälle.« Der ehemalige Bundesinnenminister fährt mit einem Pappkoffer voller illegaler Spenden herum. Bundeskanzler Kohl sagt, dass sein Ehrenwort mehr gilt als das Gesetz. So reden sonst nur Mafiabosse.
Andererseits, was ist so schlimm daran? Der preußische Untertanengeist hat den zuverlässigen preußischen Staatsapparat, den Perfektionismus und das extreme Pflichtbewusstsein mit in sein Grab genommen. Man kann nicht alles haben. Es gibt Schlimmeres als ein Land, dass hin und wieder ein bisschen korrupt ist und in den Ecken schmutzt.
Zur Korruption und den Skandalen in Deutschland gibt es also zwei gleichermaßen zulässige geistige Haltungen, die man je nach Situation zum Einsatz bringen sollte.
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