Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
und hell, in das Gesicht hineinspürt – so drückt Steven es aus –, dann spürt man sie in die Herzgegend und in die Magengegend hinein. Es handelt sich um unser Chi, die Lebensenergie, sie steigt und sinkt. Steven sagt: »Wir machen unser Chi leicht, es steigt auf und wird hell.«
Man soll es aber nicht übertreiben. Steven sagt, dass in einem früheren Seminar eine Teilnehmerin vom Hochziehen einen Orgasmus bekommen habe, der sehr lautstark und langandauernd gewesen sei. Ganz so hoch soll man sein Chi, jedenfalls hier im Pullacher Bürgerhaus, besser nicht ziehen. Die Teilnehmerinnen kichern. Als Nächstes bilden wir Arbeitsgruppen, die gemeinsam die Fragen diskutieren: Was zieht uns rauf? Was zieht uns runter?
Unsere Gruppe besteht aus drei Männern, wir sind alle über vierzig. Zum Thema »Raufziehen« fällt uns allen »Sport« ein, und zwar Radfahren, Laufen und Skifahren. Klaus sagt, wenn er Stress hat, geht er oft in den Keller und putzt sein Radl, er redet Bayrisch. Radlputzen ist gut für sein Chi. Ich räume gern auf, bei Stress, ich kann Klaus verstehen. Klaus ist Ingenieur, er arbeitet in München und wohnt 120 Kilometer von München entfernt, jeden Tag ist er von 6 Uhr bis 21 Uhr unterwegs, mindestens. Demnächst studieren seine beiden Kinder, und weil das sehr teuer ist, können er und seine Frau sich voraussichtlich keinen Urlaub mehr leisten. Ein Hundeleben, nur Arbeit, sonst nix. Und jeden Sonntag – jeden! – streitet er sich mit seiner Frau. Danach putzt er das Radl. Ein Freund von ihm war ebenfalls dauerdeprimiert, und zwar weil seine Frau ihn verlassen hat. Dann hat er mit der Ella-Methode gegengesteuert, es hat geholfen. Deshalb ist Klaus hier.
Der Dritte in unserer Arbeitsgruppe heißt Guido, ein Autoverkäufer aus Stuttgart. Er sagt, dass er beim Autoverkaufen eine positive Ausstrahlung haben muss. Das falle ihm immer schwerer. Der Automarkt wird ständig schwieriger. Die Leute haben kein Geld. Du musst die Leute mitreißen können. Ich habe Guido im Verdacht, dass er auch deshalb hier ist, um Frauen kennenzulernen. Er kuckt irgendwie so. Die Frauen musst du ja auch mitreißen können.
Wenn das Chi aufsteigen soll, kann man das Chi mit körperlichen Mitteln stimulieren. Das Innere folgt sozusagen den körperlichen Signalen, erklärt Steven. Man lässt den Kopf hängen, dann hebt man langsam den Kopf, lächelt, hebt die Arme und denkt an das Wort »Omelette«.
Positive Gefühle lassen sich auch mit Musik auf die Sprünge helfen. Steven hat zwei kurze Ausschnitte aus »High Energy« auf Lager, einem Nummer-eins-Hit von 1984, von Evelyn Thomas. Text: »High Energy, your love is lifting me.« Außerdem schwört er auf eine Passage aus einem Song der »Prinzen«, einer deutschen Popband. Die »Prinzen« singen: »Hier sind wir, und wir glauben an die Sache, ab dafür, und raus aus der Kacke.« Oder so ähnlich. Während des Workshops spielt er das mindestens dreißigmal ab. Wir stehen dann alle auf, an der lautesten Stelle recken wir die geballte Faust nach oben und schreien, so laut wir können: »Ja!« Und wenn das immer noch nicht hilft, dann denkt man eben: »Omelette.«
Steven sagt: »Ich spüre, wie ihr rauffahrt. Wahnsinn. Ihr werdet zu Glücksviren. Ihr steckt andere an. Wollt ihr ein Glücksvirus sein?«
In der Pause stellt sich heraus, dass einige Paare gemeinsam an dem Workshop teilnehmen, sie knutschen. Wieso brauchendie so einen Workshop? Das sind doch schon Glücksviren. Einer der Männer ist zum zweiten Mal dabei, er überlegt, ob er selber Trainer werden soll. Trainer werden angeblich immer gesucht. Eine Frau erzählt, dass sie frisch getrennt ist und den Schmerz überwinden will. Guido, der Autohändler, hat ausgerechnet, dass der Workshop brutto fast 10 000 Euro einbringt, also 240 mal 40, das beschäftigt ihn stark. Das seien viel bessere Gewinnmargen als im Autohandel.
Jetzt kommt das entscheidende und wichtigste Instrument an die Reihe. Steven nennt es, augenzwinkernd, das »Wedeln«. Korrekt heißt es »Bilaterale Hemisphärenstimulation« oder BHS. Man muss eine Faust machen und den Daumen nach oben recken. Dann hebt man den Daumen auf Augenhöhe und wedelt mit dem Daumen von links nach rechts und zurück, immer hin und her. Dabei folgt man dem Daumen mit den Augen. Immer hin und her. Wie bei einem Tennismatch, ungefähr.
Wichtig sind zwei Dinge. Der Kopf muss bewegungslos bleiben, also man folgt dem Daumen wirklich nur mit den Augen. Und man muss den
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