Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
älter und noch gesünder zu werden. Die Sachwalter der Gesundheit sind wie geldgierige Manager – je mehr sie haben, desto mehr wollen sie.
Die Helmpflicht für Radfahrer gehört zu den Herzensanliegen des Verkehrsministers Peter Ramsauer. Die Gewerkschaft der Polizei geht noch ein bisschen weiter, sie fordert auch die Einführung von Kennzeichen, die an das Rad geschraubt werden und die Ermittlung von sogenannten Verkehrssündern erleichtern. Meiner Ansicht nach wird das kommen, beides, früher oder später. In Deutschland gibt es schätzungsweise 70 Millionen Fahrräder, auf denen jährlich etwa 400 Menschen zu Tode kommen. Sehr wahrscheinlich ließe sich die Zahl der Toten durch die Helmpflicht senken, und natürlichauch durch die Gründung einer neuen Behörde, die den Radverkehr überwacht.
Alles hat einen Preis. Der Preis für die Helmpflicht ist ein Verlust an individueller Freiheit. Die Entscheidung, ob man lieber angenehmer und riskanter fahren möchte oder weniger angenehm und weniger riskant, wird dem Individuum von seiner fürsorglichen Obrigkeit abgenommen. Freiheit und Risiko hängen nun einmal untrennbar zusammen. Egal welche Freiheit sich einer nimmt, egal was einer tut, er oder sie muss dafür immer den Preis des Risikos zahlen. Dem Bergsteiger droht der Absturz, dem Unternehmer droht die Pleite, dem Regisseur droht der Verriss. Die einzigen relativ sicheren Orte sind wahrscheinlich das Sanatorium und die Einzelzelle im Gefängnis.
Nein, es geht beim Rauchverbot auf bayrischen Seen nicht darum, der Allgemeinheit Geld zu sparen. Es geht um eine Idee: die Idee vom richtigen Leben. Es geht darum, angeblich richtiges Verhalten durchzusetzen. Es geht also, im weitesten Sinn, um Herrschaft.
Die Idee vom richtigen Leben und vom richtigen Verhalten ändert sich allerdings ständig. Das Wort »Tugend« ist etwa ab dem Jahr 1000 in Gebrauch, es stammt von dem Verb »taugen« ab. Seitdem variiert die Vorstellung davon, welche Eigenschaften darunter im Einzelnen zu verstehen sind. Die Kardinaltugenden heißen Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung. Das klassische Bürgertum schätzte eher Eigenschaften als besonders tugendhaft, die sich in der Fabrik oder im Büro gut nutzen lassen, Pünktlichkeit, Fleiß, Reinlichkeit, daneben gibt es christliche, preußische und buddhistische Tugendkataloge. Jeder, wie er es braucht oder mag.
Nur der Typus des Tugendwarts bleibt dabei gleich. In den60er Jahren kontrollierten gewisse Hausmeister und aufmerksame Nachbarn das Tun und Treiben im Wohnblock, und im Büro tuschelte man über den ledigen Kollegen, der angeblich schwul sei. Zum Ausgleich durfte geraucht und getrunken werden, was das Zeug hält, und eine Sekretärin, die sich über einen Klaps auf den Po beschwerte, galt als verklemmt. Von dieser versunkenen Welt, die eng war und kleinlich, handelt die erfolgreiche amerikanische Serie Mad Men, die Anfang der sechziger Jahre spielt.
Allerdings war es damals leichter als heute, sich zu verstecken, in einer Welt ohne allgegenwärtige Fotoapparate, ohne soziale Netzwerke, ohne Twitter, ohne YouTube, Bild -Leserreporter und WikiLeaks. Und die Bereitschaft, wegzuschauen, war vielleicht sogar größer. Ein gutes Beispiel ist der erste Außenminister der Bundesrepublik, Heinrich von Brentano, CDU. Jeder aus dem engeren Kreis der Spitzenpolitiker wusste, dass er homosexuell war, auch Adenauer, der konservative und streng katholische Bundeskanzler. Brentano wahrte die Fassade, deshalb ließ man ihn in Ruhe – das ist die menschliche Seite der Doppelmoral, sie geht gnädig mit denen um, die sich bemühen, ihr unangepasstes Verhalten zu verstecken.
Heute gibt es diese Option fast nicht mehr.
In mancher Hinsicht ist die heutige Welt tatsächlich freier und angenehmer als die Welt der Mad Men. Es bedeutet in den Augen der Öffentlichkeit kein so großes Problem mehr, eine andere sexuelle Orientierung zu besitzen, wie man heute sagt, oder behindert zu sein oder ein aufsässiges Kind zu haben. Kinder werden zum Glück auch nicht mehr so oft verprügelt. Aber wenn das Kind eine Schlägerei auf dem Schulhof anfängt, ist es nicht mehr – wie früher – damit getan, dass diezerrissene Hose des Kameraden ersetzt wird. Das Kind muss jetzt zum Psychologen. Ein Rüpel wie der kleine Ludwig Thoma – der sich später als berühmter Schriftsteller in seinen bayrischen Lausbubengeschichten erinnerte, wie er als Bub einer Nachbarskatze Feuerwerkskörper an den
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