Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
durch die Kraft der Vernunft miteinander ausgesöhnt werden. In Wirklichkeit führt ein gerader Weg von den Hippies der 60er Jahre zu den Serienkillern der Gegenwart: Es ist der Weg eines sich immer weiter radikalisierenden Individualismus. Die Serienkiller, die aus Spaß und Lust am Berühmtsein ein Schulmassaker veranstalten, sind der Ernstfall des Hedonismus: sozusagen die Neoliberalen unter den Verbrechern.
»Elementarteilchen« ist ein Jahrhundertbuch, weil es eine Zeitenwende beschreibt: die Neugruppierung der politischen Schlachtordnung. Ist Houellebecq ein Rechter? Natürlich sprechen sein Beharren auf Werten, auf Moral und Familie dafür, bekanntlich gab es immer auch antikapitalistische Rechte. Houellebecq zitiert allerdings gerne Marx und hat sich in seinen Interviews gelegentlich einen »Kommunisten« genannt. Seine Sehnsucht läuft darauf hinaus, die Einsamkeit der konsumierenden Singles durch eine neue Gemeinschaft zu überwinden, die mit den Marschkolonnen der faschistischen Volksgemeinschaft nichts gemein hat. Denn Houellebecq fehlen das Ressentiment, der Dünkel, der Rassen- oder Sozialhass, der noch zu jedem rechten Weltbild gehört hat. Er mag die kleinen Leute. Er hat Mitleid.
Vielleicht gehört Houellebecq zu den ersten Vertretern einer neuen politischen Spezies, in einer Welt, die nicht mehr zwischen Linken und Rechten unterscheidet, sondern zwischen Beschleunigern und Verlangsamern. Die Langsamen und die Schnellen, das wären die beiden neuen Stämme. Die Schnellen glauben an den Fortschritt und den Markt, die Langsamen glauben an ein paar Werte. Nichts geißelt Houellebecq lieber als die Idiotismen des Fortschrittsprinzips. Die Idee, dass wir uns ständig wandeln, ständig anpassen müssten, dass es nötig wäre, heute anderes zu denken oder anderes zu schreiben als vor 20 oder 100 Jahren, dass Erfahrung überflüssig sei.
So also sieht eine mögliche Utopie aus: Die Welt möge endlich anhalten, für ein einziges Jahr nur oder eine Minute, damit wir überlegen können, wo wir eigentlich hinwollen.
Deutscher Humor
Als der holländische Showmaster Rudi Carrell sein letztes Interview gab, sagte er: »Die Deutschen lachen gern.« Diese Minderheitsmeinung hat Rudi Carrell jahrzehntelang vertreten. Dass die Deutschen keinen oder nur einen schwach entwickelten Humor besäßen, hört man immer wieder, weltweit. Auch Goethe war dieser Ansicht. Aber es stimmt trotzdem nicht. Es ist ein Klischee. Dieses Klischee wird auch von vielen Deutschen unermüdlich verbreitet, vielleicht wegen unseres schwach entwickelten Selbstbewusstseins und wegen des Dranges der meisten deutschen Intellektuellen zu Tiefe und Besinnlichkeit. Humor gilt in Deutschlands führenden Kreisen oft als minderwertig. Es gibt ihn aber, es gibt ihn sogar massenhaft.
In Deutschland feiert man ein mehrtägiges Volksfest, das hauptsächlich dem Lachen gewidmet ist, nämlich den Karneval. In Brasilien ist Karneval eine große Party, in Venedig ein großer Maskenball. In Deutschland sitzen die Leute in Sälen und hören sich lustige Vorträge an, oder sie betrachten Umzüge mit lustigen Motivwagen.
Karnevalshumor wirkt oft zotig oder ein bisschen dumm. Das stimmt. Volkstümliches hat nicht immer Niveau. Ist es anderswo wirklich besser?
Beim Humor ist fast alles Geschmackssache, aber ein paar Regeln gibt es schon. Humor macht das Große klein und dasKleine groß. Die scheinbar unwichtigen Probleme des Alltags werden in der Humorproduktion sehr wichtig genommen, die mit Pathos besetzten Themen und die bedeutenden Menschen schrumpfen in der Humorproduktion auf Zwergenmaß. Außerdem bringen lustige Texte meistens zwei Dinge miteinander in Verbindung, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Damit es funktioniert, muss die Verbindung plausibel wirken, sie darf nicht willkürlich sein. Das ist die Kunst.
Die wichtigste aller Regeln lautet: Humor ist ernst. Fast alle Humoristen sind ernsthafte Menschen, viele haben im Leben Pech gehabt, manche sind sogar depressiv. Humor ist Katharsis, er macht das Schwere leicht. Deswegen sind ausgerechnet die ernsthaften Themen für humoristische Behandlung besonders dankbar. Eine Beerdigung, eine Krankheit oder eine ärgerliche Panne sind besserer Komödienstoff als eine fröhliche Geburtstagsparty. Der Untergang der DDR, die Nazizeit und die Kriege der letzten Jahrzehnte haben einige sehr lustige Filme angeregt. Eine gelungene Liebesgeschichte ist gut für eine Schnulze. Eine
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