Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Jubiläum, im Juli 2000, haben sie 13 lebende Dichter an einem Abendmahlstisch 13 tote Dichter lesen lassen. In der Paulskirche haben sie den totenSiegfried mit einer Autorenprozession gefeiert, Ulla hatte sich weiß geschminkt wie ein Gespenst. Ein Tagebuchtext Siegfrieds wurde gelesen, aus dem jeder Bezug zum verstoßenen Sohn Joachim gelöscht worden war. Joachim. Der Ketzer. Wie die Wiedertäufer in der mittelalterlichen Kirche oder die Trotzkisten bei Stalin.
Bei der Beerdigung ließ Ulla sogar den Kanzler warten. Als alle saßen, zog sie in die Kirche ein, umringt von ihrer Sippe, langsam, gemessen, schöner denn je im Schmerz. Viele dachten an die Nibelungen.
Zweiter Teil. Joachim.
Dass sein Vater schwerkrank ist, krank auf den Tod, hat Joachim Unseld zufällig von Hans Magnus Enzensberger erfahren. Er durfte ihn erst ganz zum Schluss sehen, als er mit einer einstweiligen Verfügung drohte. Siegfried stand unter starken Medikamenten und bekam nicht mehr viel mit. Ein paar Jahre zuvor hatten sie versucht, sich zu versöhnen, unter Zuhilfenahme zweier Sekundanten, Tilman Moser für den Vater, Horst Eberhard Richter für den Sohn. Das brachte nicht viel.
Joachim, Jahrgang 1953, arbeitet in einem Hinterhaus. 1994 hat er die »Frankfurter Verlagsanstalt« gekauft. Ein Chef, zwei Angestellte, ein Volontär. Ein erfolgreicher kleiner Verlag, mit einem Riecher für Talent. Allein von Zoë Jennys »Blütenstaubzimmer« haben sie 110 000 Exemplare verkauft. Joachim ist ein Sohn, von dem jeder Vater träumt, begabt, klug, gutaussehend, mit ähnlichen Interessen und Talenten wie der Alte. Er schaut beim Reden aus dem Fenster. Ja, er wirkt bitter.
An der Wand hängt als Bild riesig die erste Seite von Kafkas »Schloss«. Über Kafka hat er promoviert. Marxismus und Psychoanalyse haben ihn geprägt. Der entscheidende Streit mit dem Vater fand am 23. 10. 1990 statt und dauerte drei Stunden. Das Datum weiß er auswendig. Er war bis zu diesem Tag gleichberechtigter Verleger des Suhrkamp-Verlages. Danach ein Niemand. Es gab zwei Anlässe für den Streit. Erstens hatte der Vater eine Buchreihe des Sohnes ohne Rücksprache gekippt. Zweitens soll Joachim Ulla am Telefon angeschrien haben. Das war zwei Monate nach der Hochzeit. Joachim sagt: »Ich war bei Suhrkamp für ihre Betreuung zuständig.«
»Ich bin enterbt«, sagt Joachim außerdem. Er beschreibt die komplizierte, fast möchte man sagen: kafkaeske Konstruktion, die verhindern soll, dass er sein Pflichtteil bekommt. Zu Lebzeiten hat ihm Siegfried 20 Prozent von Suhrkamp geschenkt, das immerhin kann ihm keiner nehmen, oder? »Nein, nicht geschenkt«, sagt Joachim. »Übertragen.« Dass Ulla ihr ganzes Vermögen in den Verlag gesteckt habe, wie sie in einem Spiegel -Interview sagt, bezweifelt er.
Die Ehe der Unselds dauerte rund 40 Jahre. Die Scheidung von der Mutter habe der Vater billig bekommen, weil er versprochen habe, dass der Sohn sowieso den Verlag kriegt. Wenn man später den Vater an dieses Versprechen erinnerte, habe er immer gefragt: »Und? Hast du’s schriftlich?«
Die Mutter bekam Leukämie und starb, wenige Jahre nach der Scheidung. Joachim hat tatsächlich etwas schriftlich, zeigt einen Brief, den ihm Siegfried vor dem Streit geschrieben hat. Ein schöner Brief. »Die Nachfolge durch dich, eine tiefe Genugtuung ... unsere gemeinsame Zukunft ... Dein Vater, Dein Siegfried.« Juristisch hat so ein Brief nicht viel zubedeuten. Joachim lacht grimmig. Er ist vorsichtig. Er dürfe nichts Falsches sagen. Das betont er mehrfach.
Joachim mag es auch nicht, wenn das Gespräch psychologisch wird. Er hat zwei Kinder. Die Kinder haben ihren Großvater ein einziges Mal gesehen. Aber sie wussten nicht, wer der fremde Mann war, der da für einen kurzen Besuch am Tisch saß. Sein Sohn, sagt Joachim, ähnele wirklich sehr seinem Vater.
Dritter Teil. Ulla.
Jetzt müsste ich natürlich unbedingt mit Ulla Berkéwicz reden. Stattdessen meldet sich im Büro die Pressedame. Aus der Übergabe des Informationsmaterials werde leider nichts. Sie sei durch eine Konferenz verhindert. Macht nichts. Vielleicht ein bisschen später oder früher? Nein. Ende der nächsten Woche ginge es. Vielleicht.
Ich fahre nach Frankfurt. Frankfurt am Main mit den Hochhäusern. Ich denke: »Vielleicht ist in der ganzen Geschichte Frankfurt das Schlüsselwort. Vielleicht sind es gar nicht die Nibelungen, als Vorbild, vielleicht ist es Dallas.« Im Zug lese ich das neueste Werk von Ulla
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