Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Karl Valentin noch Heinz Erhardt brauchten.
Die Kunstfigur Otto, deren Schnittmenge mit der realen Person Otto Waalkes relativ groß zu sein scheint, gibt sich manchmal so, wie Kinder eben oft sind: anarchistisch und aggressiv. In einem seiner Filme tritt Otto als Kasper im Altenheim auf, er fragt: »Seid ihr alle da?«, die weißhaarigeGemeinschaft antwortet: »Ja«, Otto ruft: »Aber nicht mehr lange!«, und hüpft hinaus. Otto, das Kind, ist bei aller scheinbaren Unschuld selbstbewusst und ichbezogen, er beharrt auf dem Lustprinzip und dem Vorrecht der Jugend, er will, nervös und ungeduldig, alles sofort. Insofern ist auch der unpolitische Otto ein echter 68er.
Ottos erfolgreichstes Jahrzehnt waren die 80er, sein wichtigstes Podium noch die großen Hallen und die Kinos. Danach beginnt die Zeit der Fernsehcomedians. Deutscher Humor wird jetzt in großen Stückzahlen hergestellt, aber unter all den Dittrichs, Mittermeiers, Pastewkas, Pochers und Kerkelings erobert sich keiner mehr eine so dominante Position, wie Otto sie lange hatte, auch Anke Engelke nicht. Trotzdem ist Engelke, geboren 1965, in den letzten Jahren wahrscheinlich die wichtigste deutsche Komikerin gewesen, natürlich auch deshalb, weil sie die erste Frau ist, die in diesem Genre ganz vorn steht.
Die meisten Comedians stellen keine feste, klar definierte Kunstfigur mehr dar. Otto ist immer Otto, Heinz Erhardt war immer Heinz Erhardt. Bastian Pastewka, Olli Dittrich oder Hape Kerkeling sind Schauspieler, die überzeugend in die verschiedensten Rollen schlüpfen. Aus Selbstdarstellern sind Humorproduzenten geworden. Sogar Harald Schmidt, der nicht in diese Reihe passt, weil er eher ein Entertainer ist als ein Komiker, lässt sich nicht auf eine Charakterrolle festlegen. Unmöglich zu sagen, wer Schmidt ist oder für was er steht, außer für das Chamäleonhafte. Das, was der Arbeitsmarkt verlangt – Flexibilität, Bindungslosigkeit, bloß nicht zu viele Prinzipien, biegsamer Charakter –, spielen die Humoristen vor.
Das wandelbarste dieser Chamäleons ist vermutlich Anke Engelke. Auf die Frage, warum bis heute so relativ wenige Komikerinnenbekannt sind, gibt die Humortheorie häufig die Antwort: Komiker müssen den Mut haben, schlecht auszusehen. Komiker stellen sich dümmer und hässlicher, als sie sind. Frauen falle das schwerer. Warum? Dazu gibt es mehrere Theorien. Anke Engelke jedenfalls löst dieses – angebliche oder tatsächliche – Problem, indem sie perfekter als jeder Kollege hinter ihren Rollen verschwindet. Wenige Männer tragen so oft Perücken, falsche Bäuche oder falsche Zähne wie Engelke in ihren Sketchen für die »Wochenshow« und später für »Ladykracher«. Ohne Maske, zum Beispiel in »Anke Late Night«, wirkt sie tatsächlich weniger komisch. Ob das an ihr liegt oder an uns, dem Publikum, könnte man auch wieder zum Gegenstand einer Humortheorie machen – ebenso wie die Frage, was denn spezifisch deutsch ist an all den deutschen Komikern. Antwort: Das spezifisch Deutsche an den deutschen Komikern besteht vor allem darin, dass es so wahnsinnig viele von ihnen gibt.
Der Sog der Masse
Vor ein paar Monaten wollte ich unbedingt eine Kolumne über Guido Westerwelle schreiben. Besser gesagt, eine Hymne auf Guido Westerwelle. Ich wollte erklären, warum er ein sehr guter Politiker ist, zumindest einer der besseren in Deutschland.
Ich dachte nicht wirklich so. Trotzdem habe ich mir gesagt: Das muss jetzt geschrieben werden. Manchmal schreibe ich Sachen, die ich nicht wirklich denke. Mehr so aus dem Bauch heraus. Wenn alle das Gleiche sagen, bekommt man Lust dagegenzuhalten. Dann sagt man sich: Alle sind sich einig, hey, da stimmt doch was nicht.
Damals haben alle auf Westerwelle herumgehackt. Jeder drittklassige Kabarettist hat Westerwelle-Witze im Programm gehabt, und das kam mir so billig vor, so vorhersehbar, so ungerecht, auch gemein, das hat mich an die Schulzeit erinnert, an diese miesen Momente, in denen alle gemeinsam auf einen Außenseiter losgehen.
Die Westerwelle-Kolumne ist nie geschrieben worden. Ich hab’s nicht geschafft.
Stattdessen schreibe ich jetzt ein Lob der Reaktanz. Denn mir ist klar geworden, dass ich reaktanzgesteuert bin, zumindest teilweise. Anderen geht es genauso, das habe ich recherchiert. Reaktanz ist eine gute Sache.
Den Begriff »Reaktanz« hat 1966 ein gewisser JackW. Brehm erfunden, ein Sozialpsychologe. Reaktanz bedeutet, vereinfacht gesagt, dass wir Menschen auf eine
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