Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
»Schwarmintelligenz« nennen, beruht tatsächlich auf nur drei Verhaltensregeln.
Erstens: Bewege dich als Mitglied des Schwarms immer in Richtung des Schwarmmittelpunkts. Auf diese Weise wird verhindert, dass der Schwarm auseinanderfließt. Zweitens: Bewege dich weg, sobald dir jemand zu nahe kommt, vermeide Zusammenstöße. Drittens: Bewege dich in dieselbe Richtung wie deine Nachbarn.
Kaum ein Begriff hat in den Jahren, die seit meiner Kindheit verstrichen sind, eine solche Karriere gemacht wie »Schwarmintelligenz«. Das Internet funktioniert wie ein Schwarm, heißt es. Die Revolutionen in den arabischen Staaten wurden und werden über die schwarmförmige Organisation Facebook organisiert, ohne Anführer, ohne eine Partei.
Alle bewegen sich plötzlich in dieselbe Richtung wie ihre Nachbarn.
Weniger bekannt ist das Wort »Schwarmfeigheit«. Ich habe es zum ersten Mal in der Talkshow von Anne Will gehört. Der Journalist und Politikberater Michael Spreng sprach von der »Schwarmfeigheit im Internet«. Jeder Journalist kennt sie. Unsere Texte stehen im Netz, sie werden kommentiert,wir bekommen E-Mails. Dagegen ist nichts zu sagen. Doch weil es möglich ist, sich anonym zu äußern, unter einem erfundenen Netznamen, sind die Äußerungen deutlich aggressiver geworden. Die Leserbriefe, mit Absender und – meistens – dem echten Namen, waren im Durchschnitt sachlicher und seltener beleidigend. Die wenigsten Internetautoren, behaupte ich, hätten den Mut, so zu schreiben, wenn sie mit ihrem Namen dafür einstehen müssten.
Ein sehr frühes und bis heute gern zitiertes Experiment zur Schwarmintelligenz wurde vor mehr als 100 Jahren auf der Viehzuchtmesse der britischen Stadt Plymouth veranstaltet. Ochsen wurden gewogen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, danach durfte das Publikum ihr Gewicht schätzen. Diese etwa 800 Personen waren zum Teil Familien mit Kindern, zum Teil Metzger und Viehzüchter, Experten und Laien bunt gemischt. Die Schätzungen waren teilweise grotesk falsch. Wenn man aber den Durchschnitt aller Schätzungen ausrechnete, dann lag dieser Durchschnitt immer sehr nahe bei dem richtigen Ergebnis.
Das Internet funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Jeder darf mitmachen, Experten und Laien, ähnlich wie beim Viehmarkt in Plymouth. Das Internetlexikon Wikipedia ist inzwischen die wichtigste Wissensquelle der meisten Leute, es wird vom Schwarm verfasst. Die Politiker Guttenberg und Koch-Mehrin haben ihre Ämter verloren, weil der Schwarm sich ihre Doktorarbeiten vorgeknöpft hatte. Bei den Wirtschaftskrisen spielt der Schwarm ebenfalls eine entscheidende Rolle: Wenn er sich aus einer Währung oder aus einer bestimmten Aktie zurückzieht, brechen alle Dämme.
Ich glaube, dass die Gesetze der Schwarmintelligenz auch das politische Leben zu beherrschen beginnen. Das beste Beispielist die Bundeskanzlerin. Zu Recht wird gesagt, dass Angela Merkel für einen Stil des Regierens steht, den es vor ihr in Deutschland nicht gegeben hat. Die Traditionen und Grundsätze ihrer Partei scheinen für sie keine Rolle zu spielen. Angela Merkel setzt Volksstimmungen um, sie ist keine Leitwölfin, eher ein Fisch im Schwarm. Sie lässt sich, wo immer und solange es geht, in der Strömung treiben. Als das Volk nach Fukushima die Atomkraft ablehnte, war bekanntlich auch Frau Merkel, die eben noch die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert hatte, plötzlich für die Abschaltung der Atommeiler. Und als die Sozialdemokraten in Wahlen und Umfragen zulegten, fiel ihr ein, dass der Mindestlohn, den die CDU immer strikt abgelehnt hatte, eine feine Sache ist.
Bewege dich in Richtung des Mittelpunkts, vermeide Zusammenstöße, bewege dich in dieselbe Richtung wie die Mehrheit.
Die Querdenker
Manchmal habe ich den Eindruck, dass Deutschland von einer Einheitspartei neuen Typs beherrscht wird, der Mainstreampartei. Diese Partei ist ökologisch, für einen höheren Bildungsetat, für Frauenquoten, für Klimaschutz, für Umverteilung des Wohlstands, dafür, dass die hier lebenden Ausländer Deutsch lernen ... Konsens, wohin man schaut. Selbst zu einer so komplexen Frage wie der Euro-Krise scheint es nur eine oder zwei denkbare zulässige Antworten zu geben. Dass die Piratenpartei – noch – keine Quotenregelung hat, wird in manchen Kommentaren schon als große Kühnheit registriert.
Man muss sich zum Vergleich nur einmal das Meinungsspektrumder angeblich so langweiligen Adenauerjahre in Erinnerung rufen, als es
Weitere Kostenlose Bücher