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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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Reaktanz würden wir uns alle nach und nach in Gemüse verwandeln, das ist hoffentlich klar geworden. Ohne Reaktanz läuft »Demokratie« auf eine massenpsychologische Zwangsherrschaft des Einheitsdenkens hinaus. Reaktanz ist die Kraft, die dafür sorgt, dass ein Meinungspendel nach einergewissen Zeit wieder zurückschwingt. Und jetzt schreiben Sie mir um Himmels willen keine Briefe, in denen Sie mir Klimawandelverharmlosung vorwerfen oder vor den Gefahren des Monarchismus warnen.
    Ich bin, weltanschaulich, Reaktist. Als ich mit meinen Kolumnen anfing, gab es manchmal Ärger, wenn politische Themen auftauchten, zum Beispiel Kritik an den USA. Ich habe eine Kolumne geschrieben, in der ich die Gewaltverliebtheit mancher Amis gegeißelt habe. Das war als Thema nicht sehr originell, ich weiß, und vielleicht ist die Kolumne ja zu Recht nicht gedruckt worden. Ich jedenfalls hatte von diesem Tag an eine animalische Lust, alles an den USA schlecht zu finden. Obwohl das ein tolles Land ist, ehrlich. Ich habe bei jeder Gelegenheit, jahrelang, antiamerikanische Tiraden geschrieben. Da habe ich mich einfach lebendig gefühlt.
    Unpolitisch war dieses Verhalten nur auf den ersten Blick. Reaktanz ist nicht unpolitisch. Reaktanz führt dazu, dass Verbote sich, langfristig gesehen, nicht lohnen.
    Redakteure, die mich länger kennen, verbieten mir inzwischen, glaube ich, bestimmte Thesen oder bestimmte Themen, weil sie dann sicher sein können, dass sie genau das kriegen. Da muss man vorsichtig sein, das ist ein ganz übler Trick.
    Die Lobrede auf Guido Westerwelle muss damit beginnen, dass er einer der wenigen wirklich guten Redner ist, im Bundestag. Er hat sich in die zweite Reihe der Partei zurückgezogen und macht seinen Nachfolgern keinen Ärger, er verhält sich tadellos solidarisch. Da sollte man sich nur mal den CDU-Politiker Merz zum Vergleich anschauen, der nach seinem Machtverlust ununterbrochen gestänkert hat. Es ist gar nicht so schwer mit der Lobrede, aber das Material reicht noch nicht ganz.
    Als Reaktist erfüllt man eine sozialhygienische Funktion und leistet einen Dienst an der Menschlichkeit. Es ist unappetitlich, wenn einzelne Personen zum public enemy erklärt werden, überall, von jedem. Guttenberg? Eva Herman? Jan Ullrich? Das sind Verfehlungen gewesen, kritikwürdig, gegebenenfalls strafbar, aber doch keine Kapitalverbrechen. Bei jedem Gangster finden Gerichte mildernde Umstände, nur das große Volkstribunal der öffentlichen Meinung kennt keine Bewährungsstrafen, so lange, bis das große Vergessen einsetzt. Man vergibt nichts, aber man vergisst. Wenn erst mal der nächste Skandal da ist, absorbiert er sowieso die gesamte Erregungsenergie, über die man verfügt.
    Sich selber vergibt man alles.
    Und Margot Käßmann? Der umgekehrte Fall. Eine Heilige. Da ist Reaktanz ebenfalls angebracht. Auch der dunkle Trieb, Idole schlechtzumachen, hat etwas mit Reaktanz zu tun. Das ist die Nachtseite der Reaktanz.
    Es müsste, im Mainstreammedium Fernsehen, eine Sendung geben, eine einzige, die der Reaktanz verpflichtet ist. Einmal pro Woche, 30 Minuten lang, müsste jemand einer von fast allen geglaubten Wahrheit widersprechen oder eine abseitige Meinung äußern oder den aktuellen public enemy verteidigen. Ohne Ironie. Ohne einen Moderator, der sich distanziert. Auch das wäre ein interessantes Experiment.

Der Publikumsjoker
    In der beliebtesten deutschen Quizsendung, bei »Wer wird Millionär?«, hat Günther Jauch im Mai  2011 eine Rechtschreibfrage gestellt. In welchem dieser Wörter ist ein k zu viel?
    Akkumulator, Akkusativ, akkurat, Akkupunktur.
    Die Kandidatin wusste es nicht. Ich wüsste es auch nicht. Bei »Wer wird Millionär?« gibt es den Publikumsjoker. Das Publikum stimmt darüber ab, welche Antwort die richtige ist. Das Publikum entschied sich, mit 48 Prozent, für das Wort »akkurat«. Auf Platz zwei, mit 42 Prozent, lag »Akkupunktur«. Die Kandidatin fiel durch. Akupunktur schreibt man mit einem k, akkurat mit zwei.
    So etwas passiert bei »Wer wird Millionär?« immer wieder: Bei den einfachen Fragen ist der Publikumsjoker fast immer eine sichere Sache. Aber je komplizierter es wird, desto öfter irrt sich die Mehrheit. Es ist dann klüger, jemanden anzurufen, der Ahnung hat. Eine Einzelperson.
    Das Leben ist natürlich oft ziemlich kompliziert. Trotzdem haben wir unser Leben weitgehend dem Publikumsjoker untergeordnet. Der Publikumsjoker bestimmt die Regierung. Der Publikumsjoker bestimmt die

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