Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Aktienkurse, der Publikumsjoker entscheidet darüber, was es zu kaufen gibt, was gesendet wird und was vom Markt verschwindet. Was hält eine Gesellschaft für richtig, was für falsch, welche Werte hat sie, wie benehmen sich die Leute, was ziehen sie an?
Fragen Sie das Publikum.
Der letzte Marxist
Der Mann ist sehr alt. Er lebt in einem Bungalow aus den 70er Jahren, umgeben von anderen Bungalows, im Schatten des Frankfurter Fernsehturms. Er war zweimal verheiratet, beide Frauen sind gestorben. In seiner Wohnung hängt ein großes Bild von Karl Marx. In dem Haus wohnt eine türkische Familie zur Untermiete. Der Mann hat mit dem Gehen Mühe. Er war mächtig. Er hat im Gefängnis gesessen. Er hat sein Leben lang in einer der großen Schlachten des vergangenen Jahrhunderts gekämpft, der Schlacht zwischen Kapital und Arbeit. Jetzt ist er einer der Letzten.
Heute sagen viele: Deutschland, der Sozialstaat, muss umgebaut werden. In dieser Geschichte geht es darum, wie Deutschland aufgebaut wurde und von welchen Leuten.
Als Wolf Biermann 1976 aus der DDR ausreisen durfte, um in Köln ein Konzert zu geben, wohnte er zuerst in diesem Bungalow. Bei Jakob Moneta. Biermann und seine Mutter Emma, die Mitglied in der Deutschen Kommunistischen Partei war, der SED des Westens, saßen abends mit den Monetas zusammen. Wolf und Jakob stritten mit der linientreuen Emma über die DDR. Damals zogen sie noch beide am gleichen Strang. Sie waren unabhängige Linke. Antistalinisten.
Biermanns Gehirn, sagt der alte Mann spitz, das ist doch der Robert Havemann gewesen. Und Eva Hagen, seine frühere Frau. Die konnten beide politisch denken. Aber Biermanndoch nicht. Der war ein schrecklicher Macho. Auch meine Frau mochte ihn überhaupt nicht.
Biermann dagegen hat die Vermutung geäußert, Moneta habe für die Stasi gearbeitet. Sie sind politisch auseinander.
Moneta ist damals in die DDR gefahren, um die Ausreiseerlaubnis für Biermann zu bekommen. Er war einer der wichtigen westdeutschen Gewerkschaftsführer. Entscheidend für die Erlaubnis sei ein Machtwort von Margot Honecker gewesen. »Margot und Wolf sind fast wie Geschwister aufgewachsen, wussten Sie das? Beide Väter waren Freunde und Genossen im Widerstand. Nachdem die Väter ermordet worden waren, hat Emma sich auch um Margot gekümmert.«
Jakob Moneta hat langes weißes Haar, und wenn er spricht, klingt es wie eine melancholische Melodie. Am Telefon hörte die Stimme sich jung an. Manchmal steht er ächzend auf und holt ein Buch, um ein Zitat zu zeigen. Er lacht hin und wieder. Daran merkt man, dass er ein undogmatischer Typ ist. Die Wohnung sieht aufgeräumt aus, sie hat nichts Greisenhaftes. Moneta würde gerne weiterleben. Dass der Sozialismus letztlich siegt, ist für ihn klar. Man muss nur lange genug leben.
In Köln sammeln sich nach dem Krieg die Reste der alten SAP-Gruppe um Otto Brenner. Die »Sozialistische Arbeiterpartei« stand in der Weimarer Republik politisch zwischen der KPD und der SPD, das heißt, sie war für die Revolution, aber gegen Stalin. Auch der junge Willy Brandt war SAP-Mitglied. Jetzt gehen die Überlebenden alle zusammen in die SPD. Ihr Zentralorgan ist die »Sozialistische Politik«, deren wichtigste Mitarbeiter Wolfgang Abendroth und Peter von Oertzen heißen.
Trotzkisten und Linkssozialisten gewinnen in den westdeutschenGewerkschaften dieser Jahre schnell Einfluss. Ihre Konkurrenten, die Leute von der KPD, sind durch Stalins Verbrechen diskreditiert. Und die Sozialdemokraten sind nicht so gut organisiert wie sie. Otto Brenner von der SAP wird nach ein paar Jahren tatsächlich Chef der mächtigsten Gewerkschaft, der IG Metall. Das war, als ob ein ehemaliger Linksradikaler plötzlich Außenminister wird. Brenner umgibt sich vorzugsweise mit Leuten aus den kleinen revolutionären Gruppen der Weimarer Republik, den Miniparteien zwischen SPD und KPD: Da ist Fritz Opel von der Splitterpartei »KPO« oder Max Diamant, ein SAPler, der die »IG Metall Auslandsabteilung« übernimmt. Siggi Neumann, Spanienkämpfer, kam sogar aus der KPD.
Jakob Moneta war Redakteur der Tageszeitung »Rheinische Post« unter dem Chefredakteur Heinz Kühn gewesen, der später Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen wurde. Kühn hatte ihn gefeuert, weil er immer wieder den Revolutionär und Obertrotzkisten Ernest Mandel in der braven »Post« schreiben ließ. Danach war er Sozialreferent an der deutschen Botschaft in Paris.
Moneta wird aus Paris geholt, um Chefredakteur
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