Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
der Zeitschrift »Metall« mit Sitz im Vorstand der Gewerkschaft zu werden. Auflage: 1,6 Millionen, Tendenz steigend. Er verdient 1962 als Chefredakteur 2000 Mark im Monat. Der Gewerkschaftsboss bekommt 2200. Die Gehälter steigen immer nur um den Prozentsatz, den die Gewerkschaft für ihre Mitglieder erkämpft hat. Von ihren Aufsichtsratshonoraren dürfen sie 6000 Mark im Jahr behalten. Moneta lehnt es aber ab, in Aufsichtsräte zu gehen.
Berühmtester Mitarbeiter von »Metall« wird Günther Wallraff. Er schreibt dort seine ersten Industriereportagen.Ursprünglich fand Moneta die Idee gut, dass die Arbeiter selber ganz offen über ihre Firma schreiben und den ganzen Mist, der da läuft. Aber danach beschweren sich immer die Betriebsräte und nehmen ihren Unternehmer in Schutz. Eine kritische Geschichte über einen Betrieb mit gewerkschaftlicher Mitbestimmung wird von der Gewerkschaftsführung sogar komplett aus dem Heft geworfen. Mit Wallraff läuft es besser, weil er schwerer unter Druck zu setzen ist.
Die 50er und 60er Jahre gelten heute als bleierne Zeit, eine Ära der Restauration. Überall Reaktionäre und alte Nazis. Es war aber auch das goldene Zeitalter der deutschen Gewerkschaften. Nie hatten sie so charismatische Führer, nie waren sie so links, nie so erfolgreich. Sicher, der DGB verlor ein paar politische Schlachten, zum Beispiel den Kampf gegen die Wiederbewaffnung. Die Lohnstreiks aber wurden fast alle gewonnen. Denn es war Geld zum Verteilen da und eine zum Kampf entschlossene Führung. In der »Metall«-Redaktion brüteten sie die Streikparolen aus. »Wer heute aussperrt, sperrt morgen ein!« Oder: »Wir bitten nicht um milde Gaben. Wir wollen unsern Anteil haben.« 1973 setzen sie Pausen nach jeder Viertelstunde durch und langsamere Laufzeiten der Bänder, de facto, sagt Moneta, war das schon die 35-Stunden-Woche. Als die SPD regiert, werden zwei Spitzenfunktionäre der IG Metall zu Ministern, Hans Matthöfer und Anke Fuchs.
Bei Moneta klingelt oft das Telefon. Genossen. Sie fragen ihn um Rat oder wie es ihm geht. Er ist nicht vergessen. Jetzt spricht er über seine Familie.
Monetas Vater musste von Frankfurt am Main bis ins östliche Polen fahren, nach Galizien, in die Stadt Blazowa, um dort eine Frau zu heiraten, die er nie gesehen hatte. Damalswurden die Ehen häufig von Heiratsvermittlern arrangiert. Der alte Moneta eröffnet eine Textilfabrik, hat Erfolg, beschäftigt 30 Näherinnen. Er hat immer feste Preise. Das Feilschen liegt ihm nicht. Die Leute nennen ihn deshalb »den Deutschen«.
Jakob Monetas Muttersprache ist Jiddisch. Die früheste Erinnerung seines Lebens: seine Mutter, die sich an den Türpfosten klammert und um Hilfe schreit. Jemand tritt seine Mutter überallhin, mit aller Kraft. Der Vater kommt herbeigerannt. Männer schlagen den Vater mit Gewehrkolben nieder, treffen sein Ohr. Monetas Vater wird halb taub bleiben.
Es ist das Ende des Ersten Weltkrieges. Polen wird unabhängig, und die polnische Bevölkerung von Blasow feiert ihre neue Freiheit mit einem Judenpogrom. Der Mann, der seine Mutter angegriffen hat, ist einer ihrer Schulkameraden. Die Familie flieht zurück in das Land, wo die Monetas seit vielen Generationen zu Hause sind, nach Deutschland. Köln. Sie besitzen bald wieder eine Textilfabrik, ein Auto mit Chauffeur. Und sie sind beide strenggläubig.
Jakob besucht in Köln neben dem Gymnasium die jüdische Religionsschule. Der Lehrer hat eine Peitsche. Aber der Sog des Jahrhunderts ist stärker, er packt diesen Sohn einer ostjüdisch-orthodoxen Kapitalistenfamilie und reißt ihn fort. Er lässt alles hinter sich, Herkunft, Religion, Familie. Zuerst schließt er sich den »Kameraden« an, einer zionistischen Gruppe, die Anfang der 30er Jahre unter jüdischen Oberschülern populär ist. Dort gibt es einen marxistischen Flügel, die »roten Kämpfer«. Zionismus oder Kommunismus, Palästina oder Sowjetunion, das sind damals die beiden geistigen Möglichkeiten für einen jungen jüdischen Intellektuellen.
Moneta begegnet bei einer Veranstaltung Hans Mayer, derein paar Jahre älter ist und später einmal ein berühmter Literaturwissenschaftler sein wird. Es ist eine entscheidende Begegnung. »Ohne Mayer«, sagt er, »wäre ich in der KPD gelandet.« Mayer und ein Deutschlehrer, der Herr Nebel heißt, bekehren ihn zum Trotzkismus.
Trotzki, der Rivale Stalins. Ermordet 1940, auf Stalins Befehl. Trotzki ist gegen den Terror, gegen die Diktatur der Partei, für
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