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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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Trotzkist. Er sagt: »Das Vermögen der drei reichsten Menschen ist zusammen so groß wie das Bruttosozialprodukt der 48 ärmsten Länder der Erde. Das darf nicht sein.« Aus seinen Artikeln spricht ein starker Glaube.
    Sein Bett steht im Wohnzimmer, damit er es nicht weit zu den Büchern hat. Ein paar Meter entfernt das Foto eines Mannes, der Karl Marx ähnlich sieht. »Mein Großvater«, sagtMoneta. »Er war Talmudist. Religionslehrer. Eines Tages hat er angekündigt, dass er sterben wird. Er hat sich die Fingernägel schneiden und die Haare frisieren lassen. Dann haben wir alle von ihm Abschied genommen, auch ich, das weiß ich noch. Dann ist er gegangen.«
    Zum Abschied sagt Moneta die Hymne des »Bund« auf. Das war die Organisation der sozialistischen jüdischen Arbeiter. »Vielleicht bau ich in der Luft meine Schlösser. Vielleicht ist mein Gott gar nicht da. Im Traum wird es leichter, im Traum wird’s mir besser. Im Traum ist der Himmel blau und ganz klar.« Wir trauen uns nicht, ihn zu fragen, wo er beerdigt werden will.

Der Geist von Dessau
    Neun Zimmer, zwei Toiletten, zwei Küchen, Bad, 250 Quadratmeter Wohnfläche: Das hört sich gut an. Wenn man das Dessauer Meisterhaus betritt, in dem von 1926 bis 1929 Oskar Schlemmer mit seiner Frau Tut und drei Kindern gelebt und gearbeitet hat, stellt man allerdings fest, dass es sich um das wahrscheinlich kleinste 250-Quadratmeter-Haus der Welt handelt. Es ist verwinkelt. Es hat extrem viele Türen. Im Bad zum Beispiel gibt es drei davon. Außerdem besitzt das Bad ein riesiges Fenster, was sich auch erst mal gut anhört. Aber das riesige Fenster befindet sich direkt neben der Badewanne. Duschende Personen sind von draußen für das Dessauer Publikum in ihrer vollen Größe zu sehen. Wer so etwas nicht mag, muss das Fenster mit einem Vorhang schließen. Dann ist es dunkel im Bad, und man muss Licht anknipsen. Die Heizung hängt unter der Decke.
    Die meisten Bauhaus-Architekten der ersten Stunde mochten grundsätzlich keine Bilder an den Wänden. Stattdessen sollte die Heizung das Schmuckstück sein, ein Bildersatz. Deswegen also, aus ideologischen Gründen, hängt hier eine Heizung an genau der Stelle, wo man sie, als badender, relativ ideologiefreier Mensch, am wenigsten haben möchte.
    Zwei Tage und zwei Nächte durfte ich in Dessau wohnen, Ebertallee 67, im ehemaligen Haus von Schlemmer, der hier, als einer der »Meister« des Bauhauses, unter anderemBildhauerei unterrichtet hat. Der Obermeister und Leitarchitekt der Bauhausgebäude hieß Walter Gropius.
    Von allen guten und bösen, naiven oder grandiosen Menschheitsbefreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts steht das Bauhaus heute vermutlich imagemäßig noch am besten da. Flachdach, Fensterbänder, Symmetrie, rechte Winkel, viel Glas, viel Leere, das ist Bauhaus. Und genau dies ist ja bis heute der Inbegriff »moderner« Architektur geblieben, damals in der DDR und genauso in der BRD, in New York und in Dubai.
    Das Bauhaus, schrieb ein Kritiker, sei womöglich der »letzte Stil«, das Ende der Geschichte in einem ihrer Teilbereiche. Jedenfalls hat sich seitdem kein neuer Stil dauerhaft und weltweit etablieren können, erstaunlich, nach 90 modebewegten Jahren.
    Das Bauhaus verwandte in seinen Schriften den Begriff »neuer Mensch«, es veröffentlichte Manifeste, es kannte den »Meister«, und auf seine Weise, die natürlich nicht mörderisch war, konnte es auch ein bisschen totalitär sein. Walter Gropius sorgte dafür, dass von einem Foto vom Inneren der Meisterhäuser Wandbilder wegretuschiert wurden, ähnlich wie von sowjetischen Fotos der in Ungnade gefallene Leo Trotzki wegretuschiert worden ist. Das strenge Verbot jedes Ornamentes, jedes Details, das von der Genialität des Architekten ablenkt, kann man auch als Ausdruck eines Allmachtsanspruches und einer beträchtlichen Eitelkeit lesen. Die Meisterhäuser stehen in einem Kiefernwald, ohne Gärten – warum? Weil Gropius neben sich keinen Gartenarchitekten dulden wollte.
    Im 20. Jahrhundert ist ständig, rechts, links und in der Mitte, vom neuen Menschen und vom Paradies auf Erden dieRede. Am Ende läuft es immer auf eine geniale Führungsfigur hinaus, auf einen Nachfolger der gestürzten Götter und Könige.
    Die Türen im Meisterhaus sind sehr schmal. Dick darf der neue Mensch schon mal nicht sein. Sie sind auch niedrig. Der Fotograf, mit seinen zwei Metern ein großer, aber kein extrem großer Mann, kommt durch die Tür auch nicht hindurch. Die

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