Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
sie in ihre Wohnung. Bei einer Tasse Kaffee sagt die Deutsche: »Ich brauche keine Haushaltshilfe. Ihr zwei könnt auf den Strich gehen.« Und: »Ich hab euch gekauft von so einem Typ. Aber ihr seid trotzdem freie Menschen. Wenn ihr’s nicht machen wollt, fahre ich euch wieder zum Bahnhof, kein Problem. Ihr müsst mir nur meine Unkosten ersetzen. 6000 Mark pro Person. Das Visum hat allein 3000 gekostet. Ich bin korrekt, wisst ihr. Nur verarschen lass ich mich nicht. Für mich arbeiten ein paar Schwarze, die tun alles, damit sie von mir ihre Drogen kriegen.«
Anna hat zwei Schachteln Zigaretten dabei und ein paar Cent in der Tasche. Damals spricht sie kein Wort Deutsch.
Wir sitzen in einem Besprechungszimmer des Mainzer Landeskriminalamts. Das Treffen ist mit Hilfe der Polizei zustande gekommen.
In Deutschland genießen Zeugen Schutz, die Aussagen zur Struktur von kriminellen Organisationen machen können oder die in akuter Gefahr schweben. Kronzeugen. Denen verschafft man sogar eine neue Identität, wenn es sein muss. Den verschleppten Frauen aber hat das nicht viel genützt. Sie kennen ihren Zuhälter, aber nicht die Bandenstrukturen. Ob sie akut gefährdet sind oder vielleicht nur latent, weiß letztlich niemand.
Wenn also Frauen wie Anna irgendwo in einem Bordell entdeckt wurden, hat man sie in den meisten Fällen einfach in ihre Heimat abgeschoben. Dort werden sie von den Zuhälterringen in Empfang genommen und nach ein paar Wochen wieder losgeschickt, diesmal in ein anderes Land.
Die verschleppten Frauen sind Opfer, aber werden beinahe wie Täter behandelt.
Seit einiger Zeit gibt es in Rheinland-Pfalz eine neue Art von Zeugenschutz, die dort »Kooperationskonzept« heißt. Es bedeutet: Frauen, die gegen Menschenhändler vor Gericht aussagen, dürfen erst einmal in Deutschland bleiben, bekommen eine Wohnung, möglichst weit weg vom Tatort, Sozialhilfe, psychologische Betreuung, Hilfe bei der Arbeitssuche, alles recht unbürokratisch. Wer im Heimatland bedroht sein könnte, darf auch nach dem Prozess bleiben. Seitdem steigt die Zahl der Verurteilungen.
Anna hat ihre psychologische Betreuerin dabei, Eva Schaab vom Verein »Solwodi«, der sich um Opfer von Menschenhandel kümmert. Ein Polizist sitzt ebenfalls im Zimmer. Er sagt mehrmals, dass Anna ein untypisches Opfer sei – älter, gebildeter, seelisch stabiler. Sie habe die ganze Sache, na ja, gut verkraftet. Andere, die das Gleiche erlebt hätten, seien heute gebrochene Persönlichkeiten. Andere waren sechzehn, sie war Ende zwanzig. Das könnte der Grund sein.
Sex ist in Deutschland billig geworden, vor allem seit dem Ende der Sowjetunion. Der Motor: Armut. Das Angebot: unbegrenzt. Die Polizei schätzt, dass 80 Prozent der Prostituierten aus Osteuropa in dem Bewusstsein nach Deutschland gekommen sind, dass sie im Bordell arbeiten werden. 20 Prozent sind Opfer von Menschenhandel.
Es läuft im Prinzip genauso wie der Viehhandel. Die Frauenwerden von den Klubs oder den Zuhältern gekauft und weiterverkauft, auch von Land zu Land. Wer mit Prostitutionsexperten über das Sexgeschäft redet, zum Beispiel mit Eva Schaab, lernt allerdings schnell, dass sich kaum pauschale Aussagen machen lassen. Die Grenze zwischen freiwillig und unfreiwillig ist fließend. Die Frauen hören zu Hause: »Du kommst in einen ganz edlen Laden, hast drei Männer pro Nacht, alle nett und kultiviert, und kriegst 5000 Euro im Monat.« Da sagen einige zu.
Stattdessen werden viele erst mal vergewaltigt, anschließend wie Tiere gehalten. Sie haben es mit 15 oder 20 Freiern pro Nacht zu tun, die nicht nett sind und auch nicht kultiviert.
Es gibt die Prostituierte, die ihrem Beruf freiwillig, selbstbewusst und gern nachgeht, es gibt erbärmliche Sklavenexistenzen, und es gibt sämtliche Nuancen zwischen diesen beiden Extremen. Manchmal arbeiten beide, die Freiwilligen und die Sklavinnen, in demselben Bordell, Zimmer an Zimmer. Es handelt sich um einen weitgehend deregulierten Sektor des Wirtschaftslebens. Das einzige Gesetz, das wirklich gilt, ist das Gesetz von Angebot und Nachfrage.
Die Frau fährt Anna und ihre Freundin in das Bordell. Es ist eines von der miesen Sorte, finster und dreckig. In der ersten Nacht müssen sie noch nicht arbeiten. Am Morgen kommt die Frau wieder. »Du kannst doch Sprachen und bist gebildet. Ich bring dich woandershin.« Anna wird ihre Freundin nicht wiedersehen. Sie wird viele Kilometer weiter gefahren, in einen Klub. Für gebildete Kunden. Anna
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