Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Partei muss man gar nicht erst fragen. Die CSU liegt in Bad Wörishofen stabil über 70 Prozent. In Wörishofen würden sie wahrscheinlich sogar Saddam Hussein zum Bürgermeister wählen, vorausgesetzt, er kandidiert für die CSU. Der Opposition hat die CSU immerhin zwei Jobs überlassen, auf die sie keinen Wert legte. Ein Sozialdemokrat kümmert sich um die Kultur. Und ein Grüner ist Jugendreferent.
Bis 2002 saß Bürgermeister Holetschek im Bundestag, ein Bild vom Reichstag hängt in seinem Büro. Daneben ein Bild der irakischen Fußballnationalmannschaft, die kürzlich hiertrainiert hat. Ja, man ist weltoffen. Er sagt: »Hirschgeweihe will ich nicht mehr sehen. Wir müssen neue, kreative Wege gehen. Gesundheit ist ein Wachstumsmarkt.« Theoretisch. Holetschek sagt, dass die Zahl der Übernachtungen in den letzten Jahren von 1,44 Millionen auf unter 900 000 gesunken ist und dass die Gäste im Schnitt nur noch zehn Tage bleiben statt 21. Man müsse auf Wellness setzen. Man müsse die Zielgruppe der Vierzig- bis Fünfzigjährigen erreichen.
Es klingt verrückt, aber: Bad Wörishofen, die Hauptstadt der Alten in einem immer älter werdenden Land, will sich ein jüngeres Image verpassen. Wenn Wörishofen kein uneingeschränkt positives Verhältnis zum Greisentum hat, wer soll es denn dann haben?
Das neue Wörishofen nimmt schon Konturen an. Holetschek erwähnt den »Skyline-Park«, einen neuen Funpark, ganz in der Nähe. Und an der Stadtgrenze entsteht zurzeit eines der größten Spaßbäder Deutschlands, das »Thermenparadies«. Es soll, mit Hilfe von 15 Meter hohen Palmen, eine Art Südseefeeling zu den Alten von Wörishofen holen. Die Kosten, 28 Millionen Euro, trägt ein privater Investor. Die Stadt schließt ihr Hallenbad und gibt dem Investor dafür einen Zuschuss zu den laufenden Kosten. Der Clou beim Thermenparadies besteht darin, dass es aus zwei Bädern besteht – einem kleineren für Kinder und Familien, mit Wildwassercanyon und Riesenrutschen, und einem zweiten, riesigen für die Alten, Krönung: ein Saunadorf auf Pfählen, in einem künstlichen See. Das Kindergeschrei ist dort nicht zu hören. Es ist eine Art Apartheidsystem.
Als Nächstes will der Bürgermeister ein Spielcasino bauen lassen. Das neue Wörishofen wird offenbar eine Art Las Vegas für Senioren.
Die SPD von Wörishofen war gegen das Thermenparadies.Das geistige Erbe von Kneipp werde dadurch, im wahrsten Sinne des Wortes, verwässert. Das Wasser der Therme ist nämlich nicht kalt, sondern warm. Und Kneipp hat gesagt: »Haltet meine Lehre rein!« Die SPD ist in Wörishofen die Partei der ultrakneippistischen Tradition, die CSU ist die Partei des Reformkneippianertums. Der SPD-Fraktionsvorsitzende hatte übrigens bis vor einiger Zeit ein Hotel. Er musste es schließen, zu wenige Gäste.
Das Kurhaus ist das Zentrum und wichtigstes Gebäude der Stadt. Dort hängt auch das Kulturprogramm aus. Montag: Rommé und Canasta. Dienstag: Eisstockschießen. Donnerstag: Wanderung sowie Treffen der »Aktion Schlaganfall«. Freitag: Kreative Kerzengestaltung. Las Vegas ist es noch nicht. Wichtigstes Ereignis der näheren Zukunft: ein Gastspiel des Kabaretts »Herkuleskeule«.
Der Kurdirektor residiert gegenüber vom Kurhaus und stammt aus Berlin-Charlottenburg. Alexander von Hohenegg war vorher zehn Jahre Kurdirektor auf Sylt. Er sagt im Prinzip das Gleiche wie der Bürgermeister. Die Zeit sei vorbei, in der man 30 Jahre am gleichen Ort Urlaub machte. Die Zukunft besteht aus Wellness, Fun und Beauty und aus den großen Hotels mit ihren weitläufigen Badelandschaften. »Die Gäste wollen keinen Arzt sehen.« Die Alten wollen das Alter nicht spüren.
Hohenegg zeigt, wie er den Kopf Kneipps auf dem Gastgeberverzeichnis von Jahr zu Jahr kleiner gedruckt hat, dagegen gab es Widerstände, auf seinen Sieg ist er stolz. Früher seien die Kurgäste von der Kasse geschickt worden, deswegen gab es keine echte Konkurrenz, es war fast ein sozialistisches System.
Die Entkneippianisierung von Wörishofen, das klingt fastein bisschen nach Gorbatschow. Bad Wörishofen erlebt offenbar gerade eine Revolution von oben.
Auch das Kurochester muss sich umstellen. Die Gäste verlangen immer häufiger Jazz und Rock ’n’ Roll. Von den drei Geigern des Kurorchesters haben sie schon zwei abgeschafft, damit der Sound härter und rauer klingt. »Satisfaction« von den Rolling Stones sei bisher noch nicht verlangt worden, aber man rechnet gewissermaßen stündlich
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