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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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damit.
    In sexueller Hinsicht sei eine Kur allerdings nicht mehr das große Fest, das sie mal war, sagt Alexander von Hohenegg. Die Aufenthaltsdauer sei einfach zu kurz geworden, um anzubandeln. Bei alten Leuten geht das ja nicht immer so schnell. Der Kurschatten stirbt aus. Es hängt auch mit dem Fernsehen auf den Zimmern und dem Frauenüberschuss zusammen. Die paar Männer, die es in dieser Altersgruppe noch gibt, hängen abends, von kalten Güssen ermattet, vorm Fernseher, statt auf Brautschau zu gehen.
    Die Straßen im Zentrum sind meist nach berühmten Kneippärzten oder Mitstreitern Kneipps benannt. Bonifaz Reile (1862 –1933), Christian Fey (1901–1961), Alfred Baumgarten (1862 –1924), Ludwig Geromiller (1853 –1920). Wenn man nachrechnet, fällt auf, dass sich die Propheten der Kneipplehre nicht gerade durch biblische Langlebigkeit auszeichneten. Wunder können kalte Güsse nicht bewirken, so viel steht fest. Kneipp selber wurde auch nur 76. Na gut, er war Raucher.
    Die Lehre von Kneipp ruht auf fünf Säulen: Wasser, Bewegung, Kräuter, Ernährung, innere Harmonie. »Im Grunde ist es das Prinzip der ganzheitlichen Medizin«, sagt Christiane Rapp. Sie leitet die Kneippschen Stiftungen, drei Kurkliniken, und ist sozusagen Kneipps Nachfolgerin. Auch sie isteher jung. Kneipp habe das Gleiche herausgefunden, was auch die großen asiatischen Lehren predigen. Die asiatischen Lehren aber, Ayurveda zum Beispiel, sind zurzeit angesagt, zum Beispiel bei den Fünfzigjährigen. Kneipp dagegen weniger. »Wir tun uns schwer mit der Person. Ein grimmig kuckender Mann. Kneipp, das klingt alt. Wir wollen dynamisch wirken.« Auch Christiane Rapp gehört zur Reformfraktion. Der neueste Trend sei Nordic Walking, eine Art Schnellwandern.
    Das Sebastianeum sieht innen wie ein Hotel der gehobenen Mittelklasse aus, nur dass die Gäste sich Heusäcke auflegen, im Stangerbad Stromstöße kriegen oder beim Heilfasten drei Tage alte Dinkelmehlbrötchen essen. Harald Schmidt ist ja auch Heilfaster. Es kostet 86 Euro am Tag, alles inklusive. Im letzten Jahr ist der Umsatz nur ganz leicht zurückgegangen. Ein gutes Ergebnis in Zeiten wie diesen.
    Wir laufen an weißhaarigen Patienten in Bademänteln vorbei. Keiner sieht aus, als sei er jünger als 75. Die meisten tun sich mit dem Gehen ein wenig schwer. Es sind noch die alten Alten. Ganz Wörishofen wartet auf die neuen Alten, die Nordic-Walking-, Spielcasino- und Spaßbadalten, fit for Fun, mit reichlich bemessener privater Altersvorsorge.
    Sie sind noch nicht da. Wer weiß, ob sie jemals kommen. Aber sie sind die Hoffnung. Jetzt heißt es durchhalten.

Anna
    Anna betritt den Raum. Um als Fotomodell arbeiten zu können, wäre sie wahrscheinlich zu klein, schätzungsweise 1 Meter 60. Abgesehen davon ist Annas Schönheit makellos. Sie trägt einen grobmaschigen weißen Rollkragenpullover, Jeans, dazu einen knöchellangen Mantel, die Haare sind blond, die Augen braun. Sie ist Anfang 30, aber man würde sie jünger schätzen. Sie lächelt. Wohlgeformte Zähne. Das Lächeln wirkt schüchtern, sie spricht langsam, artikuliert genau, in hervorragendem Deutsch. Während des Redens denkt sie nach, das sieht man.
    Annas erster Satz heißt: »Ich hatte ein gutes Leben.«
    Das war in Kiew. Anna ist Kauffrau, spricht perfekt Englisch und Spanisch, arbeitete in einer spanischen Firma als Assistentin der Geschäftsführung. Sie hatte einen fünfjährigen Sohn und einen festen Freund. Sie gehörte zur kleinen postsozialistischen Mittelschicht, damals, Ende der 90er. Eines Tages beschließt die spanische Firma, dass die Filiale in der Ukraine sich nicht lohnt, Anna wird arbeitslos.
    Ein Cousin kommt zu Besuch. Er lebt in Deutschland und schafft regelmäßig BMWs nach Kiew, um sie dort zu verkaufen. Er ist ein bisschen älter als sie. Er sagt: »Warum hängst du hier rum? Ich kenne jemanden, der sucht für ein paar Monate eine Haushaltshilfe. Du kriegst über 2000 Mark, nebenher kannst du sogar noch als Babysitterin arbeiten. Drei Monate,danach kommst du mit einem Haufen Geld zurück. Das Visum besorge ich schon.« In Annas altem Job bekam sie 300 Mark im Monat.
    Anna sagt: »Ich bin nicht naiv. Aber der Mann war jemand aus der Familie. Wir kannten uns, seit wir Kinder waren.«
    Der Cousin besorgt also das Visum. Zusammen mit einer Freundin, die zehn Jahre jünger ist als sie, fährt sie mit dem Bus nach Frankfurt. Eine deutsche Frau, jung, nett, holt die beiden am Bahnhof ab.
    Zu dritt fahren

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