Romanzo criminale
Westens Strand / Erreicht mit vielen tausend Leibsgefahren: / Wollt ihr nicht nützen, was am Grabesrand / Den wachen Sinnen noch verbleibt an Jahren …“
Wegen der Gedenkfeier war er ein Jahr danach nach Bologna gefahren. Wegen der Gedenkfeier und aufgrund eines neuen Bewusstseins, das langsam vom ihm Besitz ergriff. Scialoja misstraute allmählich Zufällen. Die Festnahme von Nero war der letzte Coup gewesen. Scialoja wollte nicht so recht daran glauben, dass ein knallharter Profi wie Nero sich wie ein Trottel bei einer Routinekontrolle von einem ängstlichen Polizisten verhaften ließ. Nero machte nur den Mund auf, um die offizielle Version zu bestätigen. Sie haben mich auf der Flucht erwischt, ich hatte eine Waffe, sie waren geschwinder als ich, und jetzt bin ich da. Scialoja glaubte ihm nicht. Die Bombe war von Faschisten gelegt worden. Nero war Faschist. Nero konnte die Bombe nicht gelegt haben, weil er am 2. August 1980 im Gefängnis war. Aber Nero gehörte zu der Organisation, die er und Borgia bekämpften. Zeta und Pigreco beschützten die Organisation. Zeta und Pigreco waren wenige Stunden nach der Explosion auf dem Bahnhof gewesen. Sie beschützten die Organisation im Gegenzug zu anderen Gefälligkeiten. Darauf mussten sie sich konzentrieren. Gefälligkeiten. Aber welche Gefälligkeiten? Wie weit würden sie gehen? Zeta und Pigreco brauchten Leute, die zu allem bereit waren. Ein Austausch von Gefälligkeiten. Aber welcher Gefälligkeiten?
„Seht eure Abkunft an! Seid nicht gemacht, / Hienieden wie das blöde Vieh zu leben: / Auf Mannheit und auf Wissen habet acht!“
Scialoja hatte sich mit Borgia über seine Theorie unterhalten. Borgia hatte ihn mit einem Staatsanwalt aus Bologna bekanntgemacht. Bulgarelli war sein Vertrauensmann. Er hatte ihm sehr aufmerksam zugehört: Nero hat etwas vor oder weiß etwas. Zeta und Pigreco beschließen, ihm das Maul zu stopfen. Was hat Nero gemacht? Was weiß Nero? Wenn sie wirklich beschlossen hatten, ihn loszuwerden, musste es sich um etwas sehr, sehr Ernstes handeln. Scialoja konnte sich nichts Schrecklicheres als das Blutbad vorstellen. Bulgarelli hatte ihm die Augen geöffnet. In Bologna untersuchten sie seit geraumer Zeit die Verbindungen von Geheimdienst, Faschisten und organisiertem Verbrechen. In Bologna nahmen sie gewisse Dinge sehr ernst. Sie sahen seine Mitarbeit als „wertvollen Beitrag zu den Ermittlungen“. Warum war man in Rom so blind? War es wirklich nur Blindheit? In Bologna herrschte ein gewisser Optimismus. Hinter vorgehaltener Hand flüsterte man sich zu, ein großes Tier der Rechten würde, von den harten Haftbedingungen angeschlagen, bald auspacken. In Bologna glaubte man nicht, dass der Geheimdienst die Bombe gelegt hatte. Wenn überhaupt, war der Geheimdienst erst später auf den Plan getreten. Um zu beschützen, falsche Fährten zu legen, abzubrechen, abzuwiegeln. Und als Scialoja nach dem Warum gefragt hatte, hatte ihn Bulgarelli auf die Straße geführt. Schau dir diese Leute an, hatte er gesagt, schau dir diese Stadt an. Die rote Hauptstadt Italiens. Wenn man Bologna beugt, beugt man ganz Italien. Das war ihr einziges Ziel: die Roten aufzuhalten. Um jeden Preis.
Den Fahrgenossen schärft’ ich so das Streben / Mit solchem kurzen Spruch zu solchem Zuge, / Dass keiner, wollt ich’s selbst, mehr Ruh gegeben. / Und, mit dem Heck gen Ost, zum tollen Fluge / Beflügelte die Ruder unser Mut, / nach Backbord immer steuernd mit dem Buge
.
Benes laute Stimme. Seine Stimme bohrte sich in den Himmel. Die Piazza schwieg, die Straßen rundherum schwiegen. Wie in Ekstase, mit brennendem Herzen, wie bei einem archaischen Ritus wohnten hundert-, zweihunderttausend anonyme Gesichter Odysseus’ letzter Reise bei. Bene sang für Bologna. Bene sang für die Welt der Lebenden. Bene sang für ihn. Da gab es nichts zu verstehen. Gewisse Dinge musste man erlebt haben. Scialoja spürte, dass ihn jemand am Arm packte. Bulgarelli hatte Tränen in den Augen. Es war ihnen nicht gelungen, Bologna zu beugen. Der Bahnhof war wieder aufgebaut worden. Oben am Himmel wetteiferte der Mond mit den Scheinwerfern, die die Türme beleuchteten, auf denen Würdenträger dem Schauspieler gratulierten. Scialoja und Borgia waren nicht die Einzigen, die Verbindungen sahen, Beziehungen herstellten. Man musste weitermachen, auch wenn sich Beweise in Luft auflösten, auch wenn die Gewissheiten zerbröselten.
V.
Professor Cortina ließ ihnen ausrichten, dass es mit Bufalos
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