Romanzo criminale
bekommen!
– Ich hatte nicht genug Zeit, um einzugreifen.
– Die Aktion war schlecht vorbereitet.
– Es war einfach Pech.
– Es wäre leichter gewesen zu schießen als davonzulaufen!
Sogar im Wohnzimmer des Neapolitaners, sogar anhand der Sitzordnung konnte man sehen, dass sie kurz vor einer Spaltung standen. Und Freddo mittendrin: um die Toten trauernd.
Schließlich einigten sie sich mit Trentadenaris Vermittlung auf einen Kompromiss. Dandi würde für die Anwaltskosten und auch für die Gutachterkosten aufkommen, er allein würde den beiden Gefangenen ihren Anteil am Gewinn auszahlen, solange sie im Knast saßen. Das klang zwar wie ein Schuldeingeständnis, aber auf diese Weise verhinderte man Schlimmeres. Sie verabschiedeten sich in einer spannungsgeladenen Atmosphäre: kaum ein Händedruck, flüchtiges Kopfnicken, scheele Blicke.
Dandi war sich bewusst, dass etwas in die Brüche gegangen war, vielleicht sogar für immer. Aber im Gegensatz zu Freddo war ihm das ziemlich egal. Er hatte den Polizisten nicht in den Rücken geschossen. Gewisse Dinge tut man, andere nicht. Das hatte er von Zio Carlo gelernt. Libanese hätte sich genauso verhalten. Regeln. Die Regeln des Spiels. Man schießt Polizisten nicht in den Rücken. Solange es sich nur um Nicolino Gemito handelte, gut … aber zwei Polizisten! Wenn er geschossen hätte, hätten sie zwei Stunden später alle Uniformierten Italiens auf den Fersen gehabt. Ärger als die Roten Brigaden!
Man musste vielmehr an die Zukunft denken! An die Geschäfte! Das Schlimme an Freddo und den anderen Jungs war, dass sie in der Vergangenheit lebten. Und auch diese Geschichte mit der Rache … wie lange sie sich nun schon hinzog! Glaubten sie wirklich, dass es ein „Jenseits“ gab, von wo aus ihnen Libanese zusah und sie segnete? Libanese … wer konnte behaupten, ihn besser gekannt zu haben als er? Was hatten sie doch alles miteinander erlebt! Jetzt fraßen ihn die Würmer. Genauso wie Sardo, Ricciolodoro und den anderen … wie hieß er doch gleich? Ach ja, Terribile! Wie sehr hatten sie sich doch vor Terribile gefürchtet. Wer weiß, wie es ihm jetzt ging, in Gesellschaft der Würmer … Ja, er hätte schießen können, aber er hatte sich mit Absicht zurückgehalten. Zweifellos würde er wieder schießen, aber nur im richtigen Augenblick. Wie hatte Zio Carlo doch so schön gesagt: Die Rache ist ehrenhaft, aber die Geschäfte sind wichtig. Wenn möglich sollte man beides unter einen Hut bringen. Wenn nicht, Friede den Toten.
IV.
„Der alten Flamme größres Horn begann / Mit leisem Knistern alsobald zu beben, / Wie Windeshauch sie flackern machen kann, / Als wär’s die Zunge selbst, die Laut will geben, / Wiegt’s hin und her die Spitze, brachte gar / Der Stimme Laut hervor und sagte: „Eben …“
Im Schutz der mächtigen Silhouette seines Kollegen Bulgarelli hatte sich Scialoja zwischen den beiden Türmen durchgeschlängelt. Oben auf dem Minarett, auf das das Licht der Mondsichel fiel, stand Carmelo Bene, dessen Stimme von einer Reihe gewaltiger Lautsprecher verstärkt wurde. Er deklamierte den sechsundzwanzigsten Gesang von Dantes
Inferno
. Wie eine uralte, düstere Gottheit thronte er über der riesigen Menge.
„Nicht Sohneshuld, nicht Ehrfurcht, die ich zollte / Dem alten Vater, nicht der Liebe Pflicht, / Dran sich Penelope getrösten sollte, / All das bezwang die Glut des Strebens nicht, / Das in mir war, die ganze Welt zu kennen / Und was, so Gut als Bös, da geschieht
.
Bulgarelli hatte ihm erklärt, dass das Fest zum Jahrestag des blutigen Anschlags von heftigen Polemiken überschattet würde. Es hatte heftige Proteste gegeben, als zur Demonstration
Stop terror now!
ausgerufen wurde und, anstatt zu trauern, des Massakers in Form eines Festes gedacht werden sollte. Vielen wäre eine würdevollere Feier lieber gewesen, bei der die jeweiligen Politiker die üblichen pragmatischen Reden gehalten hätten. Die Idee, der Tragödie mit Gesang und Tanz zu gedenken, war vielen als Profanierung erschienen. Die braven Bürger hatten gegen die extravagante Idee gewettert, die Stadt Akrobaten und Musikern zu überlassen. Bulgarelli hatte ihnen erklärt, dass
Stop terror now!
einen Triumph des Lebens über den Tod darstellte. Es bedeutete: Wir sind noch immer hier, wir leben und wir vergessen nicht. Ganz Bologna war da, eine Flut von Menschen. Der Magier oben auf dem Turm forderte mit seiner Stimme die Trauer heraus.
„Ihr Brüder!“, sprach ich, „habt des
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