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Romanzo criminale

Romanzo criminale

Titel: Romanzo criminale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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bitten können, was sie aber nicht tat. Sie forderte die anderen heraus: Sie war bereit, sich dem Urteil des „Volkstribunals“ zu stellen. Die Genossinnen machten ernst, trafen sich und verurteilten sie zum Tod. Sie meinten, sie habe ihren Freund zum Geständnis überredet und fürchteten einen eventuellen Verrat. Sie überwältigten sie während des Nachmittagsspaziergangs, stürzten sich zu sechst auf sie, zwei hielten sie an den Armen, zwei an den Beinen fest, zwei legten ihr die Schnur, die sie geduldig aus den Streifen einer zerfetzten Jeans geknüpft hatten, um den Hals. Patrizia hatte Lunte gerochen. Brüllend stürzte sie sich auf die Gruppe. Palma röchelte schon. Patrizia verteilte Fußtritte, kratzte, biss, riss eine kleine Furie an den Haaren, zwickte sie in die Brüste, trat ihnen in den Arsch, stach ihnen in die Augen. Endlich wurden auch die Wärterinnen auf den Tumult aufmerksam. Patrizia hatte sich an eine der beiden Vollstreckerinnen geklammert und ihr die Nägel in den Hals gebohrt. Aber ohne Erfolg: Sie und ihre Freundin zogen die Schlinge nur noch enger zu, Palma war bereits dunkelblau, ihre Beine zuckten unkontrolliert. Nicht einmal Knüppelschläge konnten sie von ihrem Vorhaben abbringen. Sie legten es wirklich darauf an, die Arme umzubringen! Erst sechs Polizisten und zwei knallharte Marescialli konnten sie befreien. Sie brachten sie auf die Intensivstation ins Policlinico. An dem Tag, an dem Patrizia von ihrer Entlassung erfuhr, wurde Palma, die mittlerweile außer Lebensgefahr war, in die Krankenstation zurückverlegt. Patrizia besuchte sie. Palma trug eine Halskrause und begrüßte sie unfreundlich. Vom revolutionären Aspekt her gesehen war der Prozess gerecht und das Urteil angemessen. Fast war sie auf Patrizia sauer, dass sie ihr das Leben gerettet hatte. Patrizia wurde fuchsteufelswild.
    – Du bist vierundzwanzig Jahre alt! Du bist schön, hast studiert … und gibst dich immer noch mit diesen Idiotinnen ab. Habe ich es dir nicht gesagt, dass sie Idiotinnen sind? Du solltest es machen wie dein Freund: denunzier sie und geh scheißen, Genossin.
    – Geh du scheißen, du Vorstadthure.
    Patrizia verspürte ein Gefühl von Zärtlichkeit. Palma hatte vielleicht zwei Männer umgebracht, aber hier, inmitten dieser Wölfe, war sie wie ein Kind.
    – Ich habe bei der Oberschwester eine Stange Zigaretten hinterlegt. Ich habe das Gerücht verbreitet, dass du unter Dandis Protektion stehst. Vielleicht geben sie dir eine Einzelzelle. Mehr konnte ich nicht tun …
    Palma seufzte, dann kräuselte ein leichtes Lächeln ihre aufgesprungenen Lippen.
    – Gut, ich gehe, fasste sich Patrizia kurz. Ich bin frei, ich möchte mich nicht allzu lange aufhalten. Du weißt ja, wie es ist … vielleicht bilden sie sich sonst ein, mir gefällt es hier und schicken mir die Rechnung! Wie im Hotel!
    Palma lachte. Patrizia war schon an der Tür, als ihre Freundin sie zurückrief.
    – Patri’ …
    – Ach, du hast die Sprache wiedergefunden! Wunderbar!
    – Pass auf dich auf!
    Vor dem Tor wartete Dandi mit seinem neuen Porsche und einem Korb Orchideen auf sie. Patrizia ging strahlend auf ihn zu, küsste ihn und versetzte ihm urplötzlich eine Ohrfeige, dass er schwankte. Dann setzte sie sich geschwind ans Steuer, ließ den Motor an und fuhr weg, wobei sie Dandi streifte. Er verfluchte alle Heiligen, die er kannte, und auch die, die er nicht kannte.
VI.
    Scialoja schlief mit dem Kissen im Arm. Patrizia beobachtete ihn. Ihr Blick folgte dem Schwung seiner Nase, glitt über die breite, muskulöse Brust weiter nach unten zu den Beinen, über den Arm, auf dem sich kleine Kratzer von ihrem Liebesspiel befanden. Liebe! Patrizia glitt aus dem Bett, deckte ihn zu, ging ins Bad, um sich eine Zigarette anzuzünden. Sie sah blass aus im Licht des Spiegels. Erschöpft, unruhig, fehl am Platz. Aber hatte sie sich je anders gefühlt? Vielleicht nur im Gefängnis. Im Gefängnis brauchst du niemandem Rechenschaft darüber abzulegen, wie du deine Zeit verbringst. Nur dir selber. Vielleicht will ich genau das, dachte sie. Vielleicht ist es nur Langeweile. Patrizia schlüpfte in einen schweren Morgenmantel, steckte Zigaretten und Feuerzeug in die Tasche und ging zu der Glastür, die auf den kleinen Balkon der Suite des Marina Grande führte. Als sie am Bett vorbeiging, sah sie, dass er immer noch schlief. Ein unbestimmtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Patrizia öffnete die Tür und schloss sie leise hinter sich. Die eiskalte Luft

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