Romanzo criminale
auf der Via Golametto, vor dem Eingang zum Gericht, wo es vor aufgeregten Anwälten, steifen Richtern und Polizisten mit arroganten Stimmen nur so wimmelte. Es stank nach Rauch, Kaffeesatz, Hamburgern und Käsetoast, der auf einer glühenden Herdplatte zubereitet wurde. Der Staatsanwalt war müde. Seine Frau erwartete ein Kind. Die Atmosphäre zu Hause war angespannt.
– Ich bin jetzt fast dreißig, sagte er, das Leben verändert sich.
Scialoja erzählte ihm von Sandra, der von der Autonomia. Er war noch immer nicht darüber hinweg. Borgia tröstete ihn mit einem Anflug von Neid: Sie haben Glück, Sie sind noch ein freier Mann. Ein älterer Beamter von der Sitte kam herein. Sie nickten sich zu. Der Ältere flüsterte dem Mädchen an der Kassa etwas ins Ohr. Scialoja sah, wie sie rot wurde. Der Beamte zwinkerte ihm zu.
– Das Verfahren wird eingestellt, weil die Täter unbekannt sind.
Der Staatsanwalt sagte ihm, der Bericht sei zwar gut gewesen, sie hätten aber trotzdem nichts erreicht. Der Baron war verschwunden. Keine Spur von den Entführern.
– Der leitende Staatsanwalt meint, meine Truppe sei ein wenig ... wie soll ich sagen ... überbesetzt, flüsterte Borgia.
Borgia wollte ihn also dorthin zurückschicken, wo er herkam. Akten ordnen. Auf eine neue Gelegenheit warten. Sie hatten nichts erreicht. Der Erfolg war ausgeblieben. Niemand war festgenommen worden. Ohne Festnahme keine Karriere. Das ist Regel Nummer eins. Scialoja beschloss, aufs Ganze zu gehen.
– Ich brauche ein wenig Zeit, sagte er unverblümt.
– Leider hängt das nicht von mir ab. Wir haben gut zusammengearbeitet ... aber Ausgewogenheit steht momentan nicht sehr hoch im Kurs bei der Staatsanwaltschaft. Ich bin nur ein kleines Rädchen ... die Sache verhielte sich natürlich ganz anders, wenn wir den Brigate Rosse auf der Spur wären ... ich fürchte nur, der arme Baron ist schon ...
Borgia schaute verlegen auf die Uhr. Es war Zeit, an den Schreibtisch zurückzukehren. Der Polizist bestand darauf, die Rechnung zu bezahlen. Der Staatsanwalt nahm an. Kaum war er allein, bestellte Scialoja noch ein Bier. Der ältere Beamte von der Sitte blätterte zwei Tische weiter im
Corriere dello Sport
. Hin und wieder ließ er die Zeitung sinken und versuchte den Blick des Mädchens an der Kassa aufzufangen, aber sie wich ihm aus. Sie war höchstens zweiundzwanzig, dreiundzwanzig Jahre alt. Klein, helle Haut, graue Augen, flacher Busen, gelangweilter Blick, in keiner Weise attraktiv. Scialoja zahlte. Der ältere Beamte von der Sitte holte ihn am Tor zum Gericht ein.
– Ich habe gehört, du gehst zurück.
– Schaut so aus.
– Du könntest für uns arbeiten ...
– Danke, aber ich glaube, ich eigne mich nicht zum Hurenbock.
– Immer freundlich, der Herr Doktor. Schade. Du hast ja keine Ahnung, was dir entgeht.
– Zum Beispiel?
– Ich hab gesehen, wie du die Blondine in der Bar angesehen hast.
– Welche Blondine?
– Die an der Kassa.
– Du hast sie doch angesehen.
– Bravo. Gut beobachtet. Sie nimmt fünfzigtausend pro Nummer. Wenn du willst, gebe ich dir die Adresse.
– Was redest du?
– Sieht aus wie ein x-beliebiges Mädchen, nicht wahr? Nichts Besonderes, was? Tja, sie ist eine Inoffizielle. Wenn sie in der Bar aufhört, geht sie in einem kleinen Apartment hinter dem Vatikan anschaffen. Rom ist voller Mädchen wie sie. Sie legen ein wenig Geld beiseite und heiraten den erstbesten Blauäugigen, der sie für eine Heilige hält. Die Illegalen sind eine Fundgrube an Informationen. Verzeih mir das Wortspiel, aber sie haben ständig Angst, flachgelegt zu werden. Die Männer lieben es, sich den Huren anzuvertrauen. Eine Fundgrube für einen guten Polizisten. Durch sie kann er eine Menge Festnahmen machen. Denk mal darüber nach, Junge!
Er sagte, er würde darüber nachdenken. Er sah ihm zu, wie er davon-marschierte, mit dem Schritt eines Vierzigjährigen, der Eier in der Hose hat. Mit einem leichten Schauer dachte er an sein fettes Haar, die fauligen Zähne, die fettige Haut. Polizist sein. Sich in der Korruption suhlen. Er würde auch so werden. Eines Tages. Eines sehr nahen Tages. Er ging in die Bar zurück. Direkt an die Kassa. Er kaufte Zigaretten, Lakritzestangen, zwei Tafeln Milchschokolade. Nur um ihr in die Augen zu blicken. Auf der Suche nach Indizien, die ihm möglicherweise entgangen waren. Aber da waren keine Indizien.
Den ganzen Nachmittag lief er in seiner Zweizimmerwohnung im Universitätsviertel, einem Stadtteil
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