Romanzo criminale
Hoffnung, auf jeden Fall Angst.
Roberta saß bleich und niedergeschlagen auf der anderen Seite der Trennwand.
– Wie geht es dir?, fragte sie ihn. Sie war weiß gekleidet.
Freddo legte die Hände ans Glas: Sie nicht berühren können. Diese Augen, die vor Erschöpfung, Groll, Enttäuschung brannten, nicht berühren können.
– Es geht, seufzte er schließlich und ließ sich auf den Stuhl fallen. Und du?
– Solala.
– Hast du einen Freund?
Roberta wurde stocksteif.
– Glaubst du, irgendjemand in Rom würde etwas mit der Freundin Freddos anfangen?
Die Verachtung und der Vorwurf waren nicht zu überhören. Dabei hatte er nie die Hand gegen sie erhoben. Sie wusste, dass er es auch nie tun würde.
– Aber du hättest gern … einen anderen, meine ich …
– Nein. Aber ich will nicht mehr die Freundin Freddos sein …
– Das habe ich mir gedacht. Die lange Zeit …
– Ich habe eine Arbeit gefunden …
– Was für eine Arbeit?
– Gewiss nicht so eine wie deine Freundinnen! Eine echte Arbeit … und ich habe wieder zu studieren begonnen …
– Gut. Gratuliere.
Wütend schnellte sie zur Glaswand vor.
– Kapierst du nicht, dass es … solange du sitzt … für dich … für uns … keine … keine …
Nur mit Mühe hielt sie die Tränen zurück. Ihr ehemals so üppiger Mund war von einem Kranz hässlicher Fältchen umgeben. Freddo sah die Pickel, die nur notdürftig von schnell aufgetragenem Make-up verdeckt wurden.
– … Zukunft, keine Zukunft gibt, ergänzte er. Aber es ist mein Leben, Roberta.
Freddo rief den Maresciallo und ließ sich in die Zelle bringen. Es war besser, so auseinanderzugehen, ohne viele Worte. Er hätte es auch gar nicht länger ausgehalten.
Auf dem Gang im dritten Trakt kam ihnen Bufalo entgegen. Er versperrte ihnen den Weg.
– Nur zwei Minuten, Maresciallo.
– Passt gerade nicht, Bufalo …
Bufalo wiegte den großen Kopf.
– Ich weiß, ich weiß. Roberta war da und jetzt bist du fertig. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich verstehe … und dass es mir leidtut …
– Danke.
Bufalo zündete einen Joint an und gab ihn weiter. Der Maresciallo zuckte mit den Achseln. Bufalo machte ihm ein Zeichen, er solle Ruhe geben. Bei der Summe, die sie ihm monatlich zusteckten, sollte er wissen, wann er ein Auge zudrücken musste.
– Ich bin nicht sauer auf dich, Freddo. Das wollte ich dir sagen.
Freddo nickte. Innerlich glaubte er zu ersticken.
– Du sagst, dass Dandi sich ganz gut macht?
– Ja, er macht sich gut.
– Nun, dann müssen wir eine Abmachung treffen, nicht wahr?
– Die Abmachung gibt es bereits, Bufalo. Wir sind die Abmachung.
– Vielleicht hast du recht, Freddo. Aber …
Der Maresciallo kam näher, sichtlich nervös.
– Hört mir zu. Jeden Augenblick kommt die Inspektion vorbei …
Bufalo drückte den Joint aus und schnaubte. Dann stürzte er sich plötzlich auf Freddo und umarmte ihn heftig. Freddo widerstand der Versuchung, ihn gegen die Wand zu schleudern, und erwiderte halbherzig die Umarmung. Schließlich gelang es dem Maresciallo, ihn mitzunehmen. List, Geduld, Gift, kicherte Bufalo insgeheim und zog noch einen Joint aus der Tasche. Wir sind erst am Anfang. Man darf nicht mit dem Kopf durch die Wand.
An diesem Abend rief Freddo Ricotta zu sich in die Zelle.
– Sag Donatella, ich muss mit Vanessa sprechen. So bald wie möglich. Ricotta versicherte ihm, dass er beim Gespräch am Freitag den Kassiber übergeben würde.
1984/85
Vergangenheit und Zukunft
I.
Der Zug explodierte im Tunnel. Mittlerweile war es ein Jahr her, dass Sorcio gesungen hatte. Der Zug explodierte. Fünfzehn Tote und dreißig Verletzte. Die Nachrichten unterbrachen das weihnachtliche Feierprogramm. Sondersendungen wurden in die festlich geschmückten Wohnzimmer übertragen. Zio Carlo schenkte sich ein Gläschen Zibibbo ein und lächelte.
– Frohe Weihnachten. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist!
Maestro hatte Angst. Auch wenn er daran gewöhnt war, keine Fragen zu stellen, war die Neugier stärker als der Respekt vor den Regeln. Zuerst ignorierte ihn Zio Carlo, doch als der andere nicht lockerließ, hörte er auf zu lächeln, sah ihm gerade in die Augen und flüsterte ein Sprichwort in sizilianischem Dialekt. Wenn der Freund beim ersten Mal nicht hörte, brauchte er die Frage gar nicht zu wiederholen. Maestro hatte Angst. Er dachte an den kleinen Danilo. Das Kind gedieh prächtig, es war intelligent, sogar höchst intelligent. Eine schillernde
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