Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Romanzo criminale

Romanzo criminale

Titel: Romanzo criminale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
Vom Netzwerk:
Patrizia hatte einen knatternden alten Cinquecento. Am dritten Abend folgte er ihr. Wie alle Huren, die ein gewisses Niveau hatten, besaß sie eine Arbeits- und eine Privatwohnung. Die Privatwohnung befand sich im Vorort Giardinetti, dort, wo die Stadt von der Via Casilina und dem Grande Raccordo Anulare in den Würgegriff genommen wird. Sie ging hinauf, um sich umzuziehen, und kam im Abendkleid wieder herunter, stieg in den Cinquecento ein, wobei sie den Rock mit dem schwindelerregenden Seitenschlitz glatt strich – ein schneller Blick auf die Schminke und los. Scialoja ließ eine Viertelstunde verstreichen, für den Fall, dass sie es sich anders überlegte. Dann ging er los. Die Straße war leer. Das Haustor offen. An der Gegensprechanlage war ihr Name. Die Wohnung befand sich im zweiten Stock. Das Schloss, ein gewöhnliches Yale ohne Riegel und Verstärkungen, ließ sich mit dem Dietrich öffnen. Er wusste selbst nicht, was er suchte. Er wusste nicht einmal, ob Patrizia die Richtige war. Aber er musste hinein. Er war drauf und dran, eine Menge Straftaten zu begehen. Er war drauf und dran, die Untersuchung auf nicht wiedergutzumachende Weise zu gefährden. Nur ein schneller Blick, eine Frage von fünf Minuten. Vorsichtig schloss er die Tür hinter sich. Er machte das Licht an. Eine kleine, gepflegte Wohnung. Es roch nach Wachs, auf der Tapete waren Tierbabys abgebildet. Ein Sofa, ein Fernseher. Im zweiten Zimmer ein schmales Doppelbett, ein geschmackloser Frisiertisch, ein Schrank voller Kleider mit einer unglaublichen Schuhsammlung. Viele Taschen. Drei Laden randvoll mit Unterwäsche: lauter edle Teile, nichts Auffälliges. Ganz klar, hier empfängt sie nicht ihre Kunden. Hier wohnt das sympathische Fräulein Cinzia, die freundliche Nachbarin aus dem zweiten Stock. Die Kleider verströmten einen zarten, frischen Duft. Weiblich, zweifellos, aber nicht sexy. Man dachte vielmehr an ein Mädchen, das vor dem Aufstehen noch eine Zeitlang im Bett blieb, an ein Mädchen, das noch bettwarm war. Cinzia. Ein braves Mädchen. In der vierten Lade waren Fotos und Schulhefte. Cinzia mit sieben. Im Hintergrund der Strand von Capocotta. Abfälle und verschwitzte Körper in Badeanzügen. Ein Mann mit dichtem Schnurrbart hielt sie an der Hand. Sie blickte mit gerunzelter Stirn in die Kamera. Cinzia bei der Erstkommunion. Der Mann hatte einige graue Haare mehr und sie war größer geworden. Der Mann trug die Uniform eines Unteroffiziers der Marine. Ihr Blick: irgendwo ins Leere schweifend. Keine Mutter, die vor Rührung bebte. Cinzia war Waise. Cinzia kam nicht von der Straße. Cinzia schon etwas älter. Im Licht einer Discokugel. In den Armen eines Schönlings mit einem bis zum Nabel offenen Hemd. Junge aus guter Familie. Cinzia im Minirock. Ihr Blick: konzentriert, mit einem Anflug von Gier. Scialoja legte alles zurück und durchsuchte oberflächlich den Rest der Wohnung. Nichts wies auf die Gegenwart eines Mannes hin. Patrizia hat keinen Zuhälter. In der Waschmaschine fand er einen Schlüssel. Im Spülkasten fand er eine kleine Kassette. Er musste lächeln ob dieser Naivität. Schön langsam gewann sie Konturen. In der Kassette: ein paar Münzen, ein paar Ringe, goldene Ohrringe, ein auf den Inhaber lautendes Sparbuch, in dem mit sauberer und etwas krakeliger Schrift regelmäßige Eingänge verzeichnet waren. Patrizias Kasse, die Kasse einer sparsamen Frau. Drei gefaltete Seiten. Ein Foto von Raquel Welch im Badeanzug, ausgeschnitten aus einer Boulevardzeitung mit der Bildunterschrift: „Die heimliche Liebe der schönsten Frau der Welt“. Eine Bulgari-Werbung mit den neuesten Schmuckkreationen. Ein Prospekt, der für eine Traumreise in die Südsee warb. Cinzias Träume. Kurz und gut, die Welt von einer, die für Geld mit Männern ins Bett geht. Scialoja wusste, dass es klug gewesen wäre, so schnell wie möglich zu verschwinden. Er beschloss zu bleiben. Es hatte ihn erregt, in die Intimsphäre einer fremden Frau einzudringen. Er löschte das Licht, überprüfte, ob seine Dienstwaffe an ihrem Platz war, und setzte sich bequem auf das Sofa. Patrizia konnte jeder haben, er würde Cinzia nehmen. Es machte ihm nichts aus, wenn er lange warten musste.
V.
    Sie hatten Sorcio überfallen, als er gerade zwei Ameisen aus Cinecittà ein Päckchen mit Umschlägen überreichte. Die Ameisen waren verduftet und hatten den Stoff am Boden liegen lassen. Sie waren zu sechst: die vier Gemito-Brüder, Checco Bonaventura aus Spinaceto und Saverio

Weitere Kostenlose Bücher