Romanzo criminale
hätte etwas dagegen gehabt, wenn du es selbst verkauft hättest.
– Mir war es aber lieber so ...
– Wer sonst hätte das gemacht?
– Keine Ahnung. Du, Bufalo ... vielleicht Fierolocchio ...
– Dandi.
– Ja sicher, Dandi ...
– Die anderen aber nicht, was?
– Nein, die anderen nicht.
– Wir müssen aber dafür sorgen, dass auch die anderen so handeln ... alle anderen ... sogar Ricotta, sogar Mario il Sardo.
– Und warum?
– Wenn wir alle am selben Strang ziehen, hält uns keiner mehr auf.
– Und wenn einer nicht mitmacht?
– Dann soll er sich verpissen!
Freddo gab seine Gedanken nicht preis. Er war wie immer undurchdringlich. Libanese klopfte ihm auf die Schulter.
– Wir schaffen es, Partner.
– Auf jeden Fall.
– Und dann machen wir das Lokal auf.
– Vielleicht.
– Bei siebzig, achtzig pro Gramm verdienen wir eine Menge Geld. Einen Teil legen wir in die Gemeinschaftskasse, einen Teil investieren wir und einen Teil verteilen wir an die Jungs ... und dann machen wir das Lokal auf.
– Vielleicht.
– Verdammt, warum freust du dich nicht?
– Ich habe gehört, wir sollen uns um Moro kümmern.
Libanese drückte die Zigarette aus und zündete sich eine neue an.
– Das ist gut.
– Politik ist niemals was Gutes, Libano. Ich fürchte, wir werden in die Falle gehen.
– Aber was redest du! Nimm an, wir finden den armen Teufel tatsächlich. Wir erweisen dem Staat einen Gefallen und der Staat drückt ein Auge zu ... darum geht es, Freddo: um das große Spiel!
Freddo zuckte mit den Achseln. So war er nun mal. Er glaubte, dass jeden Augenblick ein Rückschlag kommen könnte. Dass gerade dann, wenn die Dinge sich zum Guten wendeten, irgendetwas dazwischenkam.
IV.
Scialoja hatte den Kollegen von der Sitte um Hilfe bitten müssen. Er brauchte eine Liste aller Huren im Esquilin-Viertel. Nicht der illegalen und der Straßennutten: nur der Callgirls mit einem gewissen Niveau. Er hatte ihm von seiner Vermutung erzählen müssen. Ein Krimineller, der eine fette Beute in die Hände bekommen hat. Geil. Gibt sich nur mit dem Besten zufrieden. Der Kollege war skeptisch. Schließlich rückte er fünf Namen und ebenso viele Fotos heraus. Als Gegenleistung musste Scialoja seinem Kollegen versprechen, ihn bei den Festnahmen mitnaschen zu lassen. Sofern es überhaupt Festnahmen gab. Sofern die Hure überhaupt etwas damit zu tun hatte. Sofern es überhaupt eine Hure gab. Scialoja zeigte den Ladeninhabern die Fotos. Einer der beiden Tabakladenbesitzer kannte sie alle. Starke Raucherinnen. Der Mann schwitzte. Mit irgendeiner war er zweifellos ins Bett gegangen. Die Parfümeriebesitzerin kannte keine. Die Verkäuferin im Dessousgeschäft erkannte Nummer drei. Scialoja schaute in der Kartei nach: Vallesi Cinzia, vierundzwanzig, Pseudonym: Patrizia. Ausgewiesen aus Vicenza und Catania. Keine Vorstrafen. Scialoja ging in die Parfümerie zurück und zwang die Besitzerin, ihrer Erinnerung nachzuhelfen. „Vielleicht“ kenne ich dieses Gesicht, aber ich bin mir nicht hundert Prozent sicher. „Vielleicht“ hat das Fräulein das eine oder andere Stück gekauft. „Vielleicht“ hat sie bar bezahlt.
Es war eine unsichere Spur, aber es war eine Spur.
Am nächsten Morgen, in aller Frühe, ging Scialoja zu Borgia. Er erzählte ihm alles oder fast alles. Er schlug vor, das Mädchen unter Druck zu setzen. Patrizia beschatten zu lassen. Sie würde sie auf die Spur des Entführers bringen. Allerdings brauchte man dafür Männer, Mittel. Der stellvertretende Staatsanwalt war schlecht gelaunt. Er war bleich wie jemand, der nachts nicht schlafen konnte, weil er die Launen einer Schwangeren über sich ergehen lassen musste. Männer, Mittel? Wo doch alle Uniformierten Italiens eingesetzt waren, um den armen Moro zu finden? Unvorstellbar. Sie verabschiedeten sich in angespannter Atmosphäre.
Scialoja hatte eine Adresse. Er verbrachte zwei seiner kostbaren freien Tage damit, das alte Haustor in der Via di Santa Maria Maggiore zu observieren. Sie kam immer gegen elf und ging nicht vor sieben Uhr abends. Wenn man sie so sah, sozusagen in Zivil, hatte sie durchaus Stil. Man hätte sie für eine Sekretärin oder eine Studentin halten können, eine Studentin, die keine Flausen im Kopf hatte. Im Haus gab es keinen Portier. Männer kamen und gingen. Es war sinnlos, pure Zeitverschwendung. Scialoja suchte einen Verbrecher. Aber es war unmöglich, einen nach Hause kommenden Familienvater von einem Freier zu unterscheiden.
Weitere Kostenlose Bücher