Romanzo criminale
beiden Angelegenheiten unter einen Hut zu bringen. Und zwar gut!, sagte er abschließend, wobei er Dandi in die Augen blickte.
Aber für die anderen zählte einzig und allein die Rache. Nach Ansicht Freddos war die Rache das Bindemittel, das Libanese so verzweifelt gesucht hatte. Wenn es um Rache ging, handelten, dachten, lebten, atmeten alle wie ein einziger Körper.
Innerhalb von zehn Tagen hatten sie alles Wesentliche herausgefunden.
Libaneses Beseitigung war bei einem Treffen im
Re di picche
beschlossen worden. Alle vier Gemito-Brüder waren anwesend gewesen. Die Vollstrecker waren ausgelost worden. Nicolino Gemito war „fast sicher“ einer von ihnen – der, der sich als Frau verkleidet hatte. Dafür sprachen sein Körperbau und das unmittelbare Motiv: Er war der Gläubiger des armen Libanese. Saverio Solfatara, der verrückte Sizilianer, musste der Zweite des Erschießungskommandos gewesen sein. Die Beschreibung traf auf ihn zu, und außerdem gab es da ein beunruhigendes, aber nicht zu unterschätzendes Detail. Solfatara saß eigentlich in der Irrenanstalt Castiglione delle Stiviere. Er war also offiziell verrückt, oder zumindest halb verrückt, wie Sardo. Aber in diesen Septembertagen – die Information stammte von einem neuen Kunden Trentadenaris, einem koksenden Sekretär aus dem Justizpalast – war Saverio il Pazzo wegen eines Todesfalls in der Familie in den Genuss von zwei Wochen Urlaub gekommen. Das Exekutionskommando hatte nur aus den beiden bestanden, aber das Todesurteil wurde seelenruhig auf die ganze Sippe der Gemito und ihre Gefolgschaft ausgeweitet. Das erste und größte Problem bestand allerdings darin, die Wichser ausfindig zu machen. Die Spielhöllen, die sie aufgrund von Libaneses übermäßiger, selbstmörderischer Großzügigkeit verwalten durften, waren geschlossen. Die Wohnungen leer, genauso wie die Garconnièren der diversen Geliebten. Die Gemito-Brüder schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Dennoch mussten sie früher oder später wieder auftauchen. Nembo Kid schlug vor, zu extremen Maßnahmen zu greifen.
– Sie sind verschwunden, aber ihre Bälger sind noch da. Schnappen wir uns die Kinder und schauen wir, ob die Schweine aus den Löchern kriechen.
Bufalo kratzte sich am Schädel.
Sich die Kinder schnappen. Was hätte Libanese dazu gesagt? Er war dagegen, aber er hatte nur eine Stimme. Wenn sich auch die anderen dagegen entschieden hätten … aber Nembo Kid, unterstützt von Botola, bestand darauf. Vittorio Gemito zum Beispiel, der jüngste der vier, der nicht so tough wie seine Brüder war, hatte Zwillinge, die regelmäßig in ein Schwimmbad in Trastevere gingen. Man brauchte nur am Ausgang auf sie zu warten, sie in ein Auto zu zerren und zu verlautbaren, dass „wir die Jungs haben“.
– Und wenn was schiefläuft?, warf Fierolocchio ein. Was machen wir dann? Sie erschießen?
– Es sind ja ihre, unterbrach ihn Nembo Kid.
Alle Blicke richteten sich auf Freddo.
– Das ist keine gute Idee. Auch wenn wir die Jungs schnappen, kommen die Schweine nicht aus ihrem Versteck. Wir verlieren nur Zeit. Lieber warten …
Nero, der bei dem Treffen nicht dabei gewesen war, schlug sich instinktiv auf die Seite von Freddo. Es gab eiserne Regeln. Frauen und Kinder waren tabu.
Sie mussten also warten und sich in Geduld üben. Sich um die Geschäfte kümmern. Auch Libanese hätte sich so entschieden. Freddo entband Trentadenari und Dandi von den Alltagsgeschäften. Die anderen teilten sich in Gruppen. Wenn jemand einen der Gemito-Brüder oder den verrückten Sizilianer sah, hatte er freie Hand.
IV.
Scialoja hatte zwei Wochen gebraucht um herauszufinden, dass es nicht darum ging, alte Rechnungen innerhalb der Gruppe zu begleichen. Zwei Wochen lang hatte er observiert, Hinweise gesammelt und seinen Verstand benutzt: Schließlich hatte er die Geschichte mit der Spielschuld bei den Gemito-Brüdern herausgefunden, und schließlich war auch dem Staatsanwalt klar, dass die Kugeln aus dieser Richtung kamen. Aber wie immer mangelte es an Zeugen und die Verdächtigen waren nicht aufzufinden. Borgia graute es vor dem unvermeidlichen Blutvergießen. Scialoja blickte weiter. Natürlich werden sie versuchen, sich zu rächen. Aber wir sind hier nicht in Kalabrien oder in Palermo. Rachefeldzüge in Rom sind nicht von langer Dauer. Die Tragödie hat hier keinen Platz. Das ist die Stadt der ewigen Komödie. Libaneses Waisen werden sich irgendwann wieder aufraffen und neue Geschäfte machen.
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