Romanzo criminale
sie wissen lassen, dass Zio Carlo ein wenig verschnupft war. Sardo bombardierte sie mit beleidigenden Briefen: Ohne Libanese wären sie nur ein Haufen Nieten. Zum Glück würde er bald wieder bei ihnen sein. Und dann würden andere Saiten aufgezogen!
Und außerdem drängten die Geschäfte. Auch das war ein Grund, warum die Rache im Sand verlief.
Am 23. November verschluckte ein Erdbeben den halben Süden. Trentadenari rieb sich die Hände. Am Wiederaufbau würden sie alle mitnaschen: Friede den Toten, aber wenn die Politiker mitspielten, würden sie daran mindestens zwanzig Jahre verdienen. Trentadenari beriet sich mit Dandi, Nembo und Secco und brach zu einem Lokalaugenschein auf. Es würde nicht schaden, Kontakt mit irgendeinem durchtriebenen Mitglied der alten Familien aufzunehmen, ein Kilo Kokain war wahrscheinlich ein gutes Einstiegsgeschenk. Cutolos Zeit war vorbei. Er sagte, er habe sich „zurückgezogen“, aber in Wirklichkeit hatten sie ihn geschnappt und seine Schwester Rosetta, die jetzt die Familiengeschäfte führte, hatte sich sowohl bei der alten als auch bei der neuen Camorra unbeliebt gemacht.
Als Dank für die Tilgung einer Spielschuld von vierzig Riesen verpfiff Surtano, ein junger Mann aus guter Familie, der sein Vermögen zu Zeiten des Schauspielers Bontempi verspielt hatte, ein paar Tage später Tommaso Gemito. Der Knirps spielte jeden Freitag in einer Spielhölle oben am Monte Mario bis in die frühen Morgenstunden. Diesmal zogen sie die Sache professionell auf: drei Autos, die sich gegenseitig rammten, Maschinengewehre und Granaten. Tommaso ließen sie vermeintlich tot in einer Blutlache zurück.
Aber nicht einmal diese Entfaltung der Kräfte reichte. Es war Schicksal. Im Fernsehen erklärte man, dass „der bekannte Vertreter eines Clans der Hauptstadt wie durch ein Wunder einen Anschlag überlebt hätte, der von Mitgliedern einer rivalisierenden Gruppe verübt worden war“.
Eines Abends im Dezember lud Dandi sie alle in seine neue Wohnung am Campo de’ Fiori ein. Patrizia hatte einen Innenarchitekten engagiert, der im Augenblick sehr in war. Frauengestalten von Guttuso an den Wänden, Bucharateppiche am Boden, metaphysische Büsten und antiquarische Bücher. Bufalo bewegte sich respektvoll und etwas perplex inmitten dieses großen Luxus. Dem kleinen Alonzo, der sich prächtig entwickelte, hatte man einen kleinen, komfortablen Käfig gebaut, in dem er fett und fauchend saß. Um Mitternacht gelang Freddo die Flucht. Dandi hatte eben auf das Andenken John Lennons angestoßen. Eine Minute länger und er hätte ihm die ganze Sammlung wertvoller Originalgemälde an den Kopf geworfen. Alles ging den Bach hinunter. Freddo spürte die Last des Versagens, den Biss der Einsamkeit, den eiskalten Hauch der Gleichgültigkeit. Es war, als ob sie Libanese bereits vergessen hätten. Nicht die Straße ließ sie im Stich, sie ließen die Straße im Stich.
In dieser Nacht drang eine von Scialoja befehligte Truppe im Bordell an der Piazza dei Mercanti ein. Patrizia war nicht da. Sie nahmen sie am Morgen darauf fest, als sie beladen mit Einkaufstüten aus der Boutique von Nazzareno Gabrielli kam. Mit verächtlichem Lächeln bat sie den Polizisten, der ihr den Haftbefehl vorlas, ihr die schweren Tüten zu halten.
V.
Die Gefängniswärterin forderte sie auf, sich auszuziehen. Patrizia legte das Basile-Kostüm ab und blieb im Unterrock sitzen. Die andere wurde ungeduldig.
– Alles, habe ich gesagt.
Patrizia war jetzt nackt. Die Aufseherin forderte sie auf, sich vorzubeugen. Patrizia gehorchte. Die Wärterin zog Handschuhe über und machte sich an die Untersuchung der Intimzone. Patrizia schloss die Augen und dachte, dass es sich im Grunde nicht sehr von dem unterschied, was die Kunden mit ihr machten. Die Frau erledigte ihre Arbeit gewissenhaft, aber ohne zu übertreiben.
– Sie ist sauber, sagte sie schließlich zu jemandem hinter dem blinden Spiegel.
– Sie können sich jetzt wieder anziehen, fügte sie dann in freundlichem Tonfall hinzu.
Patrizia öffnete die Augen und dankte ihr mit einem kurzen Kopfnicken. Die Kunden sprachen sie nicht mit Sie an.
Man gab ihr eine Decke und steckte sie in eine Zelle mit zwei Drogenabhängigen und einer Wasserstoffblondine, deren Haut von einem dichten Netz Tattoos überzogen war.
Ohne zu grüßen ging sie hinein und setzte sich auf die für sie bestimmte Pritsche. Ein alter, harter Sprungrahmen, der am Boden angeschraubt war, zwei Schritte von dem winzigen
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