Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
sich. »Warten Sie!«
Ich versuche, mir selbst vorzuhalten, dass ich mich höchstwahrscheinlich irre. Manchmal sollte man lieber nichts erwarten, dann kann man auch nicht enttäuscht werden.
»Darf ich die Aufnahme, auf der wirklich ich zu sehen bin, noch einmal anschauen?«, frage ich.
Perez klickt dorthin zurück.
»Und jetzt den Film davor.«
Ich wage es noch immer nicht, meinen Augen zu trauen. »Und jetzt wieder vor.«
Wir schauen gemeinsam, wie ich das Geld aus dem Automaten ziehe, und dann raste ich doch noch vollkommen aus.
»Sehen Sie das? Meine Hand!« Mich hält nichts mehr auf meinem Stuhl. »Val hat die Schnittwunde verbunden, als ich mit meiner Hand in dieses Glas gefasst habe. Erst in Borgus habe ich angefangen, Pflaster zu benutzen. Stefano hat zwar daran gedacht, sich so anzuziehen, dass jeder denkt, ich sei es. Diese Baseballkappe und das Shirt. Aber meine verwundete Hand hat er vergessen! Kein Verband. Keine Pflaster.«
Erneut betrachten wir alle Aufnahmen der Überwachungskameras bei den Geldautomaten.
»Sie wollten doch einen Beweis!«, rufe ich. »Na bitte, hier ist er. Der mit der verbundenen Hand, das bin ich. Auf allen anderen Aufnahmen ist Stefano zu sehen.«
»Entschuldige, Fin, aber das jetzt als Beweis zu bezeichnen…«
Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. »Diese Kameras. Gibt es davon vielleicht noch mehr? In der Nähe der Geldautomaten, meine ich. Andere Überwachungskameras. Vielleicht können wir dann mehr von seinem Gesicht sehen als auf diesen Aufnahmen. Ich bin sicher, dass ich ihn erkenne.«
An Perez Blick ist abzulesen, dass er der Sache wenig traut.
»Bitte«, sage ich. »Es ist meine einzige Chance. Sie wollen doch auch nicht, dass ein Unschuldiger bestraft wird?«
»Dann los.« Er steht auf. »Im Zweifel für den Angeklagten. Aber ich hoffe für dich, dass du nicht meine kostbare Zeit vergeudest.«
36
Zeit: einen Tag früher, der Morgen des Mordes
Ort: Hotel Marvi, Francaz – Spanien
Meine Uhr auf dem Nachttisch piepte. Acht Uhr. Ich stöhnte. Acht Uhr war und blieb lächerlich früh. Dann dachte ich an Val und meine schlechte Laune verflog schlagartig. Sie wartete wahrscheinlich schon im Frühstücksraum.
Ich streifte das Laken von mir und stand schnell auf. Duschen ist Wasserverschwendung, wenn man nach dem Frühstück sowieso schwimmen geht, also hielt ich nur meinen Kopf kurz unter den Hahn. Danach zog ich die Boxershorts aus und meine Badehose schon einmal an, darüber die Jeans mit den abgeschnittenen Beinen. Ich nahm mein Salty Dog T-Shirt aus meinem Rucksack, zog es mir über und schlüpfte unterdessen in meine Flipflops. Fertig.
Oh nein, Moment. Meinen Geldbeutel noch. Ich steckte ihn in die Gesäßtasche. Einmal eine EC-Karte verlieren, war mehr als genug. Meine Uhr und mein Handy sollte ich wohl auch besser in meinen Rucksack stecken. Ich wollte die Zimmermädchen nicht auf falsche Gedanken bringen.
Auf dem Gang stand ein Reinigungswagen mit einem Berg Laken und Handtüchern darauf. Im Zimmer gegenüber staubsaugte ein Mädchen. Ich nahm die Treppe nach unten und ging an der Rezeption vorbei zu den offen stehenden Klapptüren. Val saß schon an einem Tisch beim Fenster. Sie hatte wie jeden Morgen einen Teller mit Brötchen für uns beide vollgeladen. Sobald sie mich sah, winkte sie. Ich machte ihr ein Zeichen, dass ich erst Tee holen würde.
»Da haben wir ja unser Dornröschen«, sagte sie, als ich ihr gegenüber Platz nahm.
Ich sah über meine Schulter.
»Ich meine dich. Du hast fast ein Jahrhundert geschlafen.«
»Weil du mich nicht wachgeküsst hast.« Ich nahm ein Brötchen und brach ein Stück davon ab. »Wo ist dein Bruder?«
»Schon joggen.«
»Bei diesem Wetter? Na, besser er als ich.«
Sie öffnete eine Miniportion Erdbeermarmelade. »Ja, ich gehe auch lieber schwimmen.«
Oder wir können auf mein Zimmer gehen, dachte ich.
»Ähem…«
»Was?«, fragte sie.
»Na, wenn Stefano sowieso joggen ist…« Ich starrte auf einen faszinierenden Brotkrümel auf der Tischdecke. »Ich dachte…«
»Du solltest nicht so viel denken. Sonst bekommst du Gehirnschmerzen.« Sie nahm ihre Tasse und stand auf. »Ich hole Kaffee. Willst du auch noch etwas?«
Und ob ich etwas wollte! Wäre das doch bloß so leicht wie im Film. Junge trifft Mädchen, sie finden sich nett und gehen miteinander ins Bett und danach machen sie das noch etliche Male und alles geht mit der gleichen Leichtigkeit, als würde man ein Ei pellen.
»Nein«, sage ich.
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