Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
Seite.
Ich raffe die Papierkugel auf.
Entfalten. Glatt streichen. Atmen.
»Entschuldige, ich musste sichergehen.« Perez hilft mir auf. »Ich bringe dich zu deiner Zelle. Dann kannst du dich kurz erholen.«
35
Zeit: heute
Ort: Polizeiwache Francaz – Spanien
Eine Stunde später holt Perez mich wieder aus der Zelle.
»Wie geht’s?«, fragt er.
Blöde Frage.
»Geht schon.«
Er nimmt mich wieder mit in den klimatisierten Raum und sagt: »Wo waren wir stehen geblieben?«
Auf meiner Netzhaut erscheint das Bild von Stefano, der den Kopf von Frau Somez als Rammbock benutzt. Er knallt ihn gegen den Tisch – immer wieder, härter und härter. Ich habe das Gefühl, dass ich verrückt werde, bis mir klar wird, dass das Geräusch von Perez kommt. Es ist sein Schuh, der gegen den Schreibtisch tickt.
»Ich habe nichts getan«, flüstere ich. »Ich schwöre es.«
»War es denn vielleicht ein Unfall?«, fragt Perez. »Du wolltest sie davon abhalten, das Zimmer zu verlassen. Aber dabei fiel sie unglücklich, schlug mit dem Kopf gegen den Tisch und brach sich das Genick.«
Ich taste nach meinem eigenen Hals. »Hören Sie auf, bitte.«
»Du gibst es also zu?«
Fast wäre ich dazu in der Lage. Vielleicht würde er mich dann in Ruhe lassen.
»Stefano hat es getan«, sage ich erschöpft. »Er hat auch die Diebstähle begangen und die Website gemacht und so.«
»Und das Geld ließ er auf dein Konto überweisen, weil er dich so mag?«
Er hat recht. Das ist seltsam.
»Wo ist es jetzt?«, fragt Perez.
»Was?«
»Das Geld natürlich. Du hast jeden Tag den Höchstbetrag abgehoben.«
»Sie irren sich. Ich habe die Hotelzimmer immer mit EC-Karte bezahlt, aber sonst habe ich höchstens ein- oder zweimal Geld abgehoben.«
»Ach ja?«, fragt Perez. »Und wie erklärst du dann das da?«
Mit einer abrupten Geste dreht er den Laptop so, dass ich den Film auf dem Monitor ansehen kann. Jemand mit gesenktem Kopf zieht Geld aus einem Automaten. Der Schirm seiner Kappe ist so tief nach unten gezogen, dass sein Gesicht fast nicht zu sehen ist.
»Das haben Sie mir doch schon gezeigt?«
»Das ist nicht in La Lina«, sagt Perez. »Diese Aufnahme stammt vom 24. Juli um sechs Uhr früh. Aufgenommen von den Überwachungskameras bei einem Geldautomaten in Santa Pol.«
Santa Pol. Da wohnten wir im Haus der Limos.
Perez zeigt einen weiteren Film. »25. Juli, wieder beim Geldautomaten in Santa Pol.«
»Das bin ich nicht, das ist Stefano. Er muss gewusst haben, dass da eine Kamera hing. Darum hat er diese Baseballkappe aufgesetzt und hält den Kopf immer gesenkt. Er will nicht erkannt werden.«
»Es ist aber dein T-Shirt.«
Jetzt sehe ich es erst. Es ist das Shirt mit dem Ketchupfleck.
»Woher wissen Sie das?«
»Du bist damit auf mehreren Fotos zu sehen.«
Natürlich. Meine Kamera.
»Ich habe es Val geschenkt, weil ich es nicht mehr schön fand. Stefano hat es bestimmt absichtlich angezogen, damit jeder denkt, er wäre ich.«
»Wie erklärst du das dann?«, fragt Perez. »Aufnahme drei. Der 26., halb elf morgens, derselbe Automat.«
Ein Schock durchfährt mich. Trotz der Kappe ist mein Gesicht klar erkennbar.
Perez hält das Bild an. »Du willst doch nicht behaupten, das sei Stefano.«
»Nein, das bin ich wirklich, aber nicht auf den anderen Aufnahmen.«
»Film vier. Der 27., um Viertel vor zehn morgens.«
Perez macht immer so weiter. Ein Film nach dem anderen erscheint auf dem Monitor.
»Der Geldautomat in Borgus. Elf Uhr abends.«
Ich springe auf. Kein Wunder, dass wir Stefano an diesem Abend im La Iguana Club nicht mehr sahen. Er war früher gegangen, um heimlich Geld von meinem Konto abzuheben. Aber ich war zu diesem Zeitpunkt noch in der Diskothek! Also habe ich ein Alibi!
Die Euphorie hält ein paar Sekunden an. Dann dringt das volle Ausmaß zu mir durch: Die Türsteher werden schwören, dass sie niemanden unter achtzehn einlassen und ich demnach nie in der Diskothek gewesen sein kann. Val ist die Einzige, die meine Geschichte bestätigen kann, aber mittlerweile ist es deutlich genug, dass ich von ihr keine Hilfe erwarten darf. Und das, obwohl wir am selben Abend…
Tränen drücken sich von hinten an meine Lider. Dass ein Mädchen mit einem ins Bett geht und einen anschließend sitzen lässt, damit kann man noch leben. Aber dass sie erst mit mir schläft und mich dann für einen Mord einstehen lässt, den ich nicht begangen habe…
»Auch in Borgus. Am nächsten Tag«, sagt Perez.
Mein Herzschlag beschleunigt
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