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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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(schon
     seit einem Monat) jeden Tag um 7 ½ Uhr auf, wobei mir Anna den Rücken einreibt, dann gehe ich sofort auf einen langen Spaziergang
     durch die Felder, wo es herrlich ist. Dann arbeite ich, und schlafen gehe ich gewöhnlich gegen 10–11 Uhr. Dieses regelmäßige
     Leben, die Ruhe und Einsamkeit wirken ausgezeichnet auf mich, ich sehe prächtig aus und nehme sogar zu. In Hessenwinkel hätte
     ich nichts zu essen (für mich allein würde ich noch elendere Frühstücke und Abendessen machen), und allein im Wald spazierengehen,
     kann ich auch nicht. Dafür mit den Weibern ›vor dem Hause‹ sitzen – ich danke für Obst. Um zu Klara [Zetkin] zu fahren – müßten
     50 M ausgegeben werden, aber ich fände dort keine Erholung, denn ich kann dieses Geplapper den ganzen Tag nicht ertragen.
     Auch die K[autskys] haben mich in aller Form nach St. Gilgen eingeladen und die Holländer nach Holland, aber nach St. Gilgen
     will ich nicht, denn ich möchte mich ihnen nicht zu sehr verpflichten, im übrigen findet dort jeden Sommer ein komplettes
     Familientreffen statt, und in Holland müßte ich die ganze Zeit sehr |223| gescheit sein und mit Henriette [Roland-Holst] geniale Gespräche über die Rassentheorie führen. Mit einem Wort – überall ist
     es gut, zu Hause aber am besten. Hier habe ich meine Ordnung, gutes Essen, saubere Wäsche und Ruhe. Sobald es möglich sein
     wird, nehme ich mir zwei Wochen zum Nichtstun und werde den ganzen Tag spazierengehen.« 21
    Wenige Wochen später liebäugelte sie doch mit einem Ortswechsel, auch, weil sie endlich einmal wieder mit Leo Jogiches zusammensein
     wollte. Pszczyna in der Nähe von Krakau bot sich an, denn dort hielt sich Adolf Warskis Frau Jadwiga auf. Letztlich fand Rosa
     Luxemburg vom 7. bis 19. August 1905 in Krakau direkt am Ufer der Weichsel Unterkunft, so daß sie sich wenigstens ein paar
     Tage regelmäßig mit dem Mann treffen konnte, der nicht nur ihr wichtigster politischer Partner für polnisch-russische Angelegenheiten
     war, sondern auch ihr Geliebter. Luise Kautsky teilte sie mit, wie sehr die polnischen Sozialisten bemüht waren, ihr das Heimatland
     nahezubringen: »Man zeigt mir hier den Grabhügel Kościuszkos, die Grüfte der polnischen Könige, die alte Alma Mater Krakaus
     und ähnliche höchst vaterländische Gegenstände.« 22 Doch höchst profane Widrigkeiten schmälerten den Genuß erheblich. Sie gäbe zehn Vaterländer für eine wanzenlose Existenz,
     heißt es in dem Brief an ihre Freundin weiter, weil sie schon mehrere Nächte nicht schlafen konnte und vor den »angestammten
     Bewohnern als ›lästige Ausländerin‹ […] die Flucht aus der ›Matratzengruft‹ ergreifen mußte« 23 .

Bin zehnmal frischer zurückgekehrt
    Am 19. August 1905 war Rosa Luxemburg wieder in Berlin. Sie bereitete sich auf eine Agitationstour vor, die sie am 25. August
     nach Bromberg, am 27. nach Thorn, am 29. nach Posen, am 31. nach Hamburg und am 5. September nach Leipzig führte. Ihre Gedanken
     über die Freiheitskämpfe in Vergangenheit und Gegenwart fanden aufmerksame Zuhörer. In Bromberg und Posen wurde sie als Delegierte
     zum Parteitag der deutschen Sozialdemokratie gewählt, der für die Zeit vom 17. bis 24. September nach Jena einberufen worden
     war.
    |224| Rosa Luxemburg verfolgte alle Sitzungen des Jenaer Parteitages aufmerksam, hatte keinen freien Augenblick; »es tat sich so
     viel hinter den Kulissen, und außerdem mußte ich dauernd aufpassen als Zentrum der ›Raufereien‹« 24 , schrieb sie ihrem Leo nach Riga, wo er sich zu einer Beratung aufhielt. In der Debatte über die Maifeier verteidigte sie
     »Die Neue Zeit« anstelle des Chefredakteurs Karl Kautsky, der zu diesem Zeitpunkt an Kommissionsverhandlungen gebunden war.
     Gewerkschaftsführer wie Robert Schmidt warfen der Redaktion vor, gewerkschafts- und parlamentarismusfeindlich und viel zu
     theoretisch zu sein. Temperamentvoll und sehr pointiert polemisierte Rosa Luxemburg gegen diese Männer, die sich gegen die
     Propagierung des politischen Massenstreiks in Deutschland wandten und Gegensätze zwischen den Gewerkschaften und der Partei
     zu schüren suchten. »Tatsächlich besteht dieser Zwiespalt nicht zwischen Partei und Gewerkschaften, sondern innerhalb der
     Gewerkschaften wie bis zu einem gewissen Grade innerhalb der Partei. Es ist dies der Zwiespalt zwischen der ›revidierten‹
     Auffassung einer Minderheit von Führern und der gesunden revolutionären Auffassung der

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