Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
gemessen und formalem Heroenkult nicht genügend Paroli geboten
wurde.
Das hier vorgelegte neue Lebensbild soll Einseitigkeiten in der Luxemburg-Biographik überwinden helfen. Mein Hauptanliegen
ist es, auf der Grundlage umfangreicher Archivalien, edierter Quellen und neuer Forschungsresultate Rosa Luxemburgs Entwicklung
authentisch und umfassend darzustellen. Die Biographie folgt den Stationen ihres Lebens. Sie will die Einheit von Persönlichkeit,
theoretischen Arbeiten, politischen und pädagogischen Tätigkeiten nacherlebbar machen. Um Konflikte zu charakterisieren und
Ursachen für Erfolg wie Niederlage zu erklären, wird auch das private und geistig-politische Milieu ihrer Freunde und Widersacher
beleuchtet.
Rosa Luxemburg, die sich den Problemen ihrer Zeit mit einzigartigem Engagement stellte und anregende Antworten auf neue Fragen
fand, hat ein vielseitiges Lebenswerk hinterlassen. Als besonders brisant erweisen sich ihre Ansichten zu Reform und Revolution,
Demokratie und Diktatur, zu nationaler Selbstbestimmung und Internationalismus sowie zu Kapitalismus und Sozialismus. Zu entdecken
sind in ihren Schriften nach wie vor aktuelle Gedanken über Nationalismus, den Kampf gegen politische Willkür und soziale
Ungerechtigkeit, über Gewerkschaftsarbeit, kommunale Interessenvertretung und Parlamentarismus in der bürgerlichen Demokratie.
Ihr unbedingtes, doch mehrfach enttäuschtes Vertrauen in die Politikfähigkeit der Massen, Parteien und Autoritäten ist ebenso
bemerkenswert wie ihre prophetische Warnung vor der Entartung sozialer und nationaler Befreiungsbewegungen. Ihr konsequentes
Auftreten gegen Militarismus, Chauvinismus und Krieg sowie für den Schutz der Menschenrechte ist uneingeschränkt zu bejahen.
Sie hat sich zu allen wesentlichen Themen in Politik und Ökonomie geäußert, auch zu den »Vereinigten Staaten von Europa«,
zur »Weltpolitik« der Großmächte, zu den Ressourcen und Grenzen kapitalistischen Wachstums und nicht zuletzt über den Mut
der Aufrechten, trotz mancher Niederlage Sozialisten zu bleiben und für ihre Ideen einzustehen.
|12| Zu dieser neuen Biographie wurde ich herausgefordert durch das nicht nachlassende Interesse an Rosa Luxemburg und ihrem Werk
sowie durch Dispute der in der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft vereinten Wissenschaftler, an deren Tagungen in
Paris (1983), Tokio (1991) und Beijing (1994) ich teilnahm. Recherchen meiner Kolleginnen und Kollegen im Institut für Geschichte
der Arbeiterbewegung in Berlin, das am 31. März 1992 geschlossen worden ist, waren mir ebenso hilfreich wie der Rosa-Luxemburg-Verein
e. V. in Leipzig, der Brandenburger Verein für politische Bildung e. V. »Rosa Luxemburg« in Potsdam, meine Familie und Freunde.
Als besonders anregend empfand ich die Resonanz auf Vorlesungen und Referate, die ich 1991/92 und 1994 über Rosa Luxemburg
und das 20. Jahrhundert an den Universitäten in Bremen und Hannover gehalten habe.
Den Mitarbeitern der Archive und Bibliotheken, die mir Zugang zu unveröffentlichten Briefen und Dokumenten sowie zu spezieller
Literatur ermöglichten, danke ich ebenso wie den Kolleginnen, die mir Übersetzungen aus dem Polnischen zur Verfügung stellten.
Mein besonderer Dank gilt den Mitarbeitern des Aufbau-Verlages für mannigfache Unterstützung.
Dieses Buch widme ich Rosa Luxemburg zum 125. Geburtstag, einer beeindruckenden Frau, für die zu einer Persönlichkeit Talent,
Charakter, Individualität und eine feste Weltanschauung gehörten. Sie wußte: »Ergreifen und erschüttern kann nur, wer selbst
ergriffen und erschüttert ist.« 7
Berlin, im November 1995
Annelies Laschitza
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|13| HERKUNFT
1871–1888
Rosa Luxemburg verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Warschau und die Studentenzeit in Zürich, Genf und Paris. Sie lebte
über zwanzig Jahre in Deutschland, die längste Zeit davon in Berlin. Ihre Wege führten sie nach Amsterdam, Basel, Brüssel,
Kopenhagen, London; wiederholt war sie in Paris und Zürich; sie hielt sich illegal in Warschau, Petersburg und Kuokkala auf.
Sie erholte sich in der Schweiz und in Italien. Sie interessierten Lebensräume von Eingeborenen in Afrika, und sie träumte
von Reisen in den Kaukasus, nach Buchara und Samarkand. Über Ägypten und Indien, über den Vorderen Orient, Regionen in Amerika,
Asien und Australien schrieb sie in ihren Büchern und Artikeln, als wäre sie dort gewesen. Rosa
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