Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
gediegenere Ausbildung erhofft haben. Ein Neffe von Rosa will aus Erinnerungen
seines Vaters Józef wissen, daß Verdächtigungen über illegalen Waffenhandel Eliasch Luxemburg, der am Aufstand 1863/64 teilgenommen
hatte, Hals über Kopf zum Fortgang aus Zamość zwangen. 18 Der Annahme von Elżbieta Ettinger, die Luxemburgs hätten unter den Juden von Zamość keine festen Freunde gefunden, 19 widerspricht Jack Jacobs aufgrund seiner neuesten Forschungsergebnisse. Er hebt die Verbundenheit von Eliasch Luxemburg mit
den polnischen Maskilim hervor.
Die Haskala, die Bewegung der jüdischen Aufklärung, besaß in Zamośść mit einem relativ kleinen jüdischen Bevölkerungsanteil
seit Ende des 2. Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts die zweitgrößte Konzentration von Maskilim in Polen. Die Luxemburgs gehörten
dazu; Eduard war eine gewählte Persönlichkeit der jüdischen Gemeinde. Er teilte vermutlich die Auffassungen von Abraham Paprocki,
Lehrer für jüdische Geschichte am Warschauer Rabbinerseminar, an dem Rosas Vater einige Zeit studiert hatte. Paprocki behauptete:
»Nur in ihren Verpflichtungen gegenüber Gott bilden die Juden eine Einheit, aber im Hinblick auf die Gesellschaft sind sie
weder eine Nation, noch eine besondere soziale Gruppe.« 20 Doch Anfang der 70er Jahre gewannen durch Tod oder Weggang aller bekannten Maskilim in der jüdischen Gemeinde von Zamośćungeliebte
Orthodoxe die Oberhand. Auch I. L. Peretz verließ etwa 1873 die Stadt. Jacobs sieht den Umzug nach Warschau, der durch die
Choleraepidemie |20| in der Provinz Lublin beschleunigt worden sein kann, auch als Versuch, aufs neue »eine maskilische Umgebung zu finden, die
mit der vergleichbar war, die zu früherer Zeit in Zamość existiert hatte« 21 . Die Familie Luxemburg wollte in einer Umgebung leben, in der sie nicht ausschließlich jiddisch sprechen und sich den Bräuchen
osteuropäischer Juden fügen mußte. Sie wollte sich weiter assimilieren können, ohne daß ihre Aufgeschlossenheit gegenüber
der polnischen Kultur, ihre Vorliebe für die polnische Sprache und ihre geistige Weltoffenheit von orthodoxen Widersachern
in einer relativ kleinen Gemeinde mit Mißgunst bedacht wurden.
Nach dem Erlaß des Zaren von 1862, der die Aufenthaltsbeschränkung für Juden formal abschaffte, so daß diese nicht mehr gezwungen
waren, in dem seit 1809 existierenden Ghetto zu leben, war Warschau für Maskilim bei weitem zugänglicher als das Zamość der
70er Jahre; damit war es eine Stufe auf dem Weg zur Assimilation. 22 Wie Elżbieta Ettinger anschaulich schildert, wählten die Luxemburgs das Viertel, in das sie zogen, sorgfältig aus. »Es war
kurz zuvor für Juden geöffnet worden und wurde von Polen halbwegs akzeptiert. Es beherbergte auch polnische Intellektuelle
und lag nicht weit, aber weit genug ab von dem Bezirk, den die armen und orthodoxen Juden bewohnten. Dieser Judenbezirk –
mit seiner exotischen Atmosphäre, den gestikulierenden Männern mit Schläfenlocken und Jarmulkas (Käppchen) in flatternden
Kaftans wie große schwarze Vögel, den Frauen mit Perücke, den Bettlern und Straßenhändlern – glich mehr einer mittelalterlichen
Szenerie als einer westlichen Kapitale. Er war eine ständige Peinlichkeit, ein Stein des Anstoßes für assimilierte Juden,
die sich der Rückständigkeit ihres Volkes schämten und sich wünschten, nicht damit identifiziert zu werden. Sie reformierten
ihren Glauben; sie sprachen ›vor den Kindern‹ nicht mehr Jiddisch; sie milderten ihr semitisches Äußeres ab, indem sie sich
westlich kleideten. Und dennoch – nur wenige Straßen weiter war diese andere Welt, das Haupthindernis für sie, akzeptiert
zu werden: lärmende Leute in bizarren Kostümen; Arbeiter, die sich weigerten, samstags zu arbeiten; Zaddikim, chassidische
Sektenprediger, die Wunder vollbrachten; Rabbiner, die Gesetze erließen. Durch Zarenerlaß angewiesen, ihre Bärte und |21| Gewänder abzulegen, fanden sie Mittel und Wege, beides zu behalten; aus einem Stadtteil vertrieben, tauchten sie in einem
anderen wieder auf; zum Erlernen des Polnischen gezwungen, erhoben sie das Jiddische zur Literatursprache.« 23
Die siebenköpfige Familie Luxemburg zog in ein Mietshaus in der Zlotastraße. Die nach vorn gelegene Wohnung mit drei Zimmern
gehörte zu den besseren und teureren. In den zum Hof gehenden Quartieren und in den Hinterhäusern lebten die Leute ärmlicher
und beengter. »Das Haus
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