Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
Männerwelt zu beweisen, und sie verklagte das Kinderheim und den Staat. Henry konnte nicht aussagen, aber die Ärzte sagten aus. Die Polizei sagte aus. Und ein vierter Junge, der auch in dem Kinderheim war, sagte aus, er sei ebenfalls von den Jungen belästigt worden.
Trents Vorstrafe als Kinderschänder sprach nicht zugunsten des Staates, ebenso wenig die Tatsache, dass er und Thelma im Nebenhaus schliefen, obwohl sie das Gegenteil behauptet hatten.
Dazu noch die freimütigen Geständnisse der Jungen, mehrfach wiederholt, als wären sie stolz darauf, und das Urteil konnte nur einstimmig ausfallen. Die Jungs wurden in einer Einrichtung für jugendliche Straftäter untergebracht, bis sie einundzwanzig waren, dann für weitere fünf Jahre in einem Gefängnis.
Etwa zwanzig Jahre später kam ein Buch über die grauenvollen Zustände in dieser Einrichtung heraus, und der Autor, der zur selben Zeit wie Henrys Vergewaltiger dort gewesen war, verdiente einen Haufen Kohle damit.
Im Urteil gegen das Kinderheim und den Staat wurde Momma eine gewaltige Entschädigungssumme zugesprochen. Henrys sämtliche Arztrechnungen wurden vom Staat und den Veteranen bezahlt, die auch hinzugezogen wurden. Die junge Anwältin eröffnete eine eigene Kanzlei und verteidigt bis zum heutigen Tag die Opfer der schlimmsten, gefährlichsten Verbrecher.
Also hatten wir finanziell gewonnen, aber die ganze Geschichte hatte alles vernichtet, was von Mommas emotionaler Kraft noch übrig war. Sie war ausgelaugt.
Total am Ende.
»Wir fahren nach Hause«, sagte sie eines Abends zu uns, die Schecks in ihrer zitternden Hand, ihr Körper hinfällig und ausgelaugt, ihr Geist gebrochen. »Wir fahren nach Hause zu Grandma. Packt eure Sachen, Mädels!«
Dafür brauchten wir höchstens zwanzig Minuten, denn mehr war von unserem Leben nicht übrig. Unser Auto gab auf halber Strecke nach Trillium River den Geist auf, und Momma stellte einen Scheck für einen kaum gebrauchten Minivan aus, der sofort ansprang, als Momma den Schlüssel umdrehte. Der Motor schnurrte. Wir fanden, dass es das schönste Auto war, das wir je gesehen hatten. Die Polstersitze waren so bequem, dass ich dachte, man könnte auch ganz gut in dem Minivan wohnen, wenn es sein musste.
Unterwegs übernachteten wir in Hotels mit Swimmingpool und bekamen zweimal Hamburger und Milchshakes. Momma kaufte uns neue Kleider. Sie kaufte Janie Stickzeug, Cecilia Bücher, Henry ein neues Damebrett und mir einen Fotoapparat. Wir fühlten uns wie im Himmel.
Grandmas Queen-Anne-Haus war ein sicherer Ort. Sie erwies sich sofort als ein beständiger – wenn auch launenhafter – Fels in der Brandung. Wir gingen zur Schule, Grandma half bei Henry, der vollkommen verstummt war, und Momma legte sich ins Bett.
Als Momma zwei Monate später wieder aufstand, benutzte sie einen Teil der Entschädigungssumme, um die Bäckerei zu eröffnen.
Für mich war das Vergewaltigungsgeld, aber wir brauchten es.
21. Kapitel
Eines Nachmittags später in dieser Woche setzte ich mich auf mein Motorrad und fuhr zu Momma. Ich hatte immer noch Albträume, immer noch Angst, aber ich funktionierte. Darauf war ich stolz. Manchmal müssen wir uns dafür loben, einfach nur zu funktionieren, finde ich. Aufzustehen und einen weiteren Tag in Angriff zu nehmen.
Ich hatte mich vorher bei Momma angekündigt. Von Sinda wusste ich, dass Momma an diesem Morgen im Bunco-Club gewesen war, bevor ihre Frauenrunde zum Lunch ging.
»Ach, ich fühle mich schwach«, erzählte sie mir am Telefon mit leiser Stimme. »Völlig ermattet. Bin tagelang nicht aus dem Bett gekommen. Tagelang! Ich habe den Arzt geholt, um mit ihm über meine Gesundheit und die mangelnden Fortschritte zu sprechen.«
Ich verkniff mir das Lachen.
Als ich ankam, lag sie im Bett, im Morgenmantel, das Licht gedämpft, die Vorhänge gegen den strahlenden Sonnenschein zugezogen.
»Momma?«, fragte ich. »Momma?«
Ihre Augen waren geschlossen. Langsam öffnete sie die Lider.
»Isabelle«, krächzte sie.
»Hallo, Momma.« Ich beugte mich hinunter, küsste sie auf die Stirn und verkniff mir wieder das Lachen.
»Pass bitte auf. Mir tut alles weh. Ich kann mich kaum bewegen.«
»Tut mir sehr leid, das zu hören, Momma.«
Sie öffnete ein Auge. »Dein Gesicht sieht nicht mehr so schlimm aus, Isabelle.« Sie griff tatsächlich nach meiner Hand und hielt sie fest.
Ich war gerührt.
»Jedes Mal, wenn ich an den Mann denke, der dir das angetan hat, will ich ihn umbringen, und
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