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Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Titel: Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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weggerannt«, sagte ich.
    »Er könnte aus der Haustür gerannt sein, aber die Hintertür wäre auch eine Möglichkeit.«
    Wir standen an der Hintertür. Der Wind heulte in den Bäumen.
    »Und wenn er aus der Hintertür gelaufen ist, musste er in die Dunkelheit.«
    »Henry mag die Nacht nicht, aber wenn er sich verstecken wollte, ist er trotzdem in die Dunkelheit gerannt.«
    »Und er wäre so lange gelaufen, bis er nicht mehr konnte.«
    Wir machten uns auf, brüllten uns Sätze durch den Gewitterlärm zu.
    »Er wäre gerannt, bis er umfiel …«
    »Und hätte sich dann wahrscheinlich zusammengerollt und wäre eingeschlafen.«
    »Das macht er, wenn er Angst hat oder verstört ist.«
    »Genau, dann macht er ein Nickerchen.«
    Wir hielten etwa einen halben Meter Abstand zueinander und platschten mit den Füßen durch den Schlamm.
    Wir überquerten ein Feld hinter dem Heim, sprangen über einen Zaun und rannten über eine Obstwiese. Wir riefen Henrys Namen und unsere Namen, damit er wusste, wer ihn da suchte. Wir liefen, bis wir ein bisschen müder wurden, und das war der Moment, wo Henry stehen geblieben wäre.
    »Ungefähr bis hier müsste er gekommen sein, bis er nicht mehr rennen konnte.«
    Der Wind umtoste uns, der Regen prasselte herab.
    Wir standen mitten auf einem Bauernhof und riefen erneut nach Henry. Der Wind schien unsere Stimmen mit seinem Geheul davonzutragen. Ein Blitz fuhr in einen Baum, wir erschraken und warfen uns auf den Boden.
    Als wir wieder atmen konnten, rief Janie: »Und wo würde er von hier aus hingehen?«
    Wir suchten den verschwommenen Horizont ab.
    In den Häusern entlang der Felder und in den Farmhäusern in der Ferne brannte Licht.
    »Er würde in keines der Häuser gehen.«
    »Nein, das sind Fremde.«
    Ich spürte, wie die Wut in meinem Bauch brodelte.
    »Er wäre jetzt müde.«
    »Er könnte nicht mal richtig denken.«
    In der Ferne konnte ich einen Baum erkennen, einen dieser großen Laubbäume. »Henry liebt Bäume«, sagte ich.
    »Er liebt den Baum vor unserer Wohnung. Da läuft er dauernd hin«, sagte Janie.
    »Wenn er Angst hatte und schnell gerannt ist, könnte er im Dunkeln geglaubt haben, es wäre derselbe Baum«, mutmaßte Cecilia.
    Wir hetzten über die Felder. Der Boden wurde schlammiger und sumpfiger, der Regen prasselte noch stärker herab und durchnässte uns bis auf die Haut, aber wir rannten weiter.
    Als wir zu dem Baum kamen, riefen wir Henrys Namen, voller Hoffnung, dass er unter den ausladenden Ästen lag, in Sicherheit, dort zusammengerollt schlief.
    Aber es war kein Henry zu sehen.
    Niedergeschlagen sanken wir gegen den rauen Baumstamm. Ich kämpfte gegen die Panik an, die in meiner Brust immer höher stieg.
    Wir mussten Henry finden.
    Ich konnte nicht ohne Henry leben.
    Ich glaube, das konnte keiner von uns.
    »Henry!«, schrie Cecilia, den Kopf in den Nacken gelegt. »Henry! Henry!« Ihre Schreie wurden heiserer, das Kreischen eines wilden Tiers, nur war das wilde Tier meine Zwillingsschwester, und ihr Schmerz schlang sich um mein Herz und drückte es zusammen. Ich hielt mir die Ohren zu.
    »Henry!« Mein Schrei war urzeitlich, rau und genauso verloren wie Cecilias.
    In der darauffolgenden Stille hörte ich die Regentropfen auf den Blättern, Janies unverständliches Flehen, Cecilias abgehacktes Keuchen.
    Und dann …
    Ein kleines Geräusch.
    Leise und tief.
    Ich erstarrte. Bestimmt war da ein Tier über uns in den Ästen.
    Cecilia und Janie hörten es auch, und wir nahmen uns an den Händen und wichen zurück.
    Etwas bewegte sich.
    Aber das Etwas trug eine braune Socke, Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit einer weißen Cartoonkatze darauf.
    Henry. Hoch oben im Baum, zwischen zwei Astgabeln.
    »Henry geht heim«, sagte er mit kläglich gebrochener Stimme. »Henry geht heim.«

    Zu dritt holten wir Henry herunter und trugen ihn über das Feld.
    Er wollte nicht sprechen, seine Tränen vermischten sich mit dem Regen, gelegentlich erhellte ein Blitz das Feld.
    Als er Momma sah, wollte er sie zuerst nicht umarmen und nicht von ihr umarmt werden. Mein Herz klopfte laut, als ich das sah. Ich wollte so sehr von Momma umarmt werden, und Henry lehnte ihre Umarmung ab!
    »Bin böse auf Momma. Will nicht hier sein. Henry geht heim.«
    »Henry«, brachte sie erstickt hervor, »Henry, wir gehen zusammen heim. Du musst da nie wieder hin. Niemals. Du kommst mit uns nach Hause.«
    »Okay, Momma. Okay.«
    Er ließ sich umarmen. »Bommarito-Kuschelrunde«, sagte er schwach.

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