Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
»Kommt, meine Schwestern. Bommarito-Kuschelrunde. Ich hab euch lieb.«
Wir legten uns die Arme um die Schultern und drückten die Stirn aneinander.
Das war erst der Beginn einer weiteren Tragödie.
»Er ist mehrfach vergewaltigt worden.«
Bei den Worten des Arztes schienen die weißen Krankenhauswände auf mich zuzustürzen.
»Er hat ältere und frische Verletzungen. Es tut mir leid.«
Die Polizisten, Ärzte und Krankenschwestern, die mit Cecilia, Janie, Momma und mir im Konferenzraum saßen, verschwanden aus meinem Blickfeld, während die Wände immer näher rückten, bis ich kaum noch Luft bekam, bis ich nur noch sehen konnte, wie sich der Mund des Arztes öffnete und schloss, doch seine Worte hörte ich nicht mehr.
Ich konnte gar nichts mehr hören. Überhaupt nichts. Als säße ich in einer schalldichten Kabine, während sich um mich herum Menschen hektisch bewegten.
Ich sah, wie Momma die Fäuste ballte, wie sich ihr Mund öffnete und ihr Kopf in den Nacken fiel, und ich war überzeugt, dass sie schrie, aber ich konnte nichts hören. Ich sah, wie zwei Krankenschwestern Momma auffingen, als sie zu Boden sackte, ihr Gesicht eine verzerrte Maske aus Kummer und Wut. Die Schwestern und der Arzt hoben Momma vom weißen Boden auf. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen, die Fäuste auf die Augen gedrückt.
Hastig schoben zwei Schwestern eine Trage herein, und Momma wurde draufgehoben. Sie wehrte sich, streckte die Arme nach Henrys Zimmer aus, stieß »Henry, Henry« aus, aber für mich war es lautlos, die weißen Wände um mich herum sogen all den Lärm auf, als würde alles, was Momma sagte und tat, durch einen Trichter geschickt.
Ich sah, dass Janie umfiel, der Polizist hinter ihr sie hochhob und zwei Ärzte zu ihr eilten. Ihre Lippen bewegten sich, und ich wusste, dass sie riefen, doch ich konnte nichts hören.
Ich sah, wie Cecilia herumwirbelte und mit der Stirn gegen die Wand schlug. Sofort bildete sich ein dumpfer Schmerz in meinem Kopf. Ein Polizist und ein Arzt zerrten Cecilia gewaltsam von der Wand weg. Sie bog den Rücken durch, drehte ihren Kopf ruckartig zu mir herum, und ihre Tränen und das Blut von ihrer Stirn trafen mich im Gesicht.
Sie brachten auch Cecilia weg.
Bald war ich allein inmitten der weißen Wände.
Alles war still.
Henry kam nie wieder in ein Heim.
Er wollte weder uns noch der Polizei erzählen, was passiert war.
Erst als ich der Polizei in Henrys Gegenwart von den beiden gemeinen Jungen im Kinderheim berichtete und Henry mit Singsangstimme immerzu wiederholte: »Ich sag nichts, ich sag nichts, ich sag nichts, nicht Schwestern töten, nicht Schwestern töten, nicht Momma töten, nein bitte, nein bitte, nein bitte, nicht Henrys Schwestern töten!«, wussten Cecilia, Janie und ich, dass wir unsere Vergewaltiger hatten.
Die Beamten wechselten einen Blick mit uns und eilten hinaus.
Eine Woche lang wich Momma nicht von Henrys Seite. Wir gingen nicht zur Schule. Als klar wurde, dass Momma ihren Job im Club verlieren würde, backten wir wie die Wilden, verkauften unsere Kekse, Kuchen und Torten von Tür zu Tür, an die Lehrer in der Schule, sonntagmorgens vor der Kirche, vor der Bücherei.
Wir vergaßen nicht, das Mehl zweimal zu sieben, mit leichter Hand Zuckerguss zu träufeln und niemals etwas anbrennen zu lassen, so wie unser Dad es uns beigebracht hatte.
Wir kamen mit dem Geld klar, zwar nicht besonders gut, und wir konnten damit auch nicht Henrys Krankenhausrechnung bezahlen, aber wir kamen hin.
Und was geschah mit den Jungs, die Henry vergewaltigt hatten?
Sie knickten innerhalb weniger Minuten ein. Als ich älter war, las ich die Verhörprotokolle. Sie erzählten, sie hätten Henry selbst vergewaltigt, auch mit Bleistiften und einmal mit einem Schraubenzieher. »Ich konnte nicht anders, weil er nicht die Klappe halten wollte«, sagte der eine. »Dauernd hat er nach seiner Mommy und seinen Schwestern geheult. Wie ein Baby. Ich musste ihm zwei Socken in den Mund stopfen, damit er still war. Zwei Socken! Nicht eine, zwei! «
»Wir hatten unseren Spaß mit ihm«, sagte der andere. »Der hat doch einen an der Klatsche. Kriegt gar nicht mit, was passiert. Sein Gesicht steckte im Kissen. Es hat ihm gefallen. Ich sag Ihnen, es hat ihm gefallen. Außerdem, wer wird denn sonst je mit dem bumsen? Wir haben ihm einen Gefallen getan. Jetzt ist er keine Jungfrau mehr. Er ist ein Schwuler.«
Momma nahm sich eine ehrgeizige junge Anwältin, die begierig darauf war, sich in einer
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