Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
du …« Janie machte sich über die Servietten her, riss jede in vier Teile und griff dann nach der nächsten.
»Was ich getan habe?« Sein Blick schwankte nicht. »Ich habe einen Mann getötet.«
»Du hast …«, stotterte Janie und zerriss noch eine Serviette.
Mir wurde immer übler. Ich wollte auf das Piratenschiff klettern und fortsegeln.
Unser Dad war ein Mörder. »Hallo, das ist mein Dad. Er ist ein Mörder.«
»Ja. Ich hatte euch drei Jahre zuvor verlassen, und es ging …« Wieder hielt er inne, seine Stimme kaum noch ein Flüstern. »Es ging mir deswegen sehr schlecht.«
Ihm ging es schlecht? Bilder meiner Kindheit schossen mir durch den Kopf, allesamt unerfreulich. » Dir ging es schlecht, und darum hast du jemanden umgebracht? Erwartest du Mitleid von mir?«
Die Sanftheit in diesem vertrauten Gesicht raubte mir schier den Verstand. Wie hatte er uns diese Sanftheit nehmen können? Ich erinnerte mich an sein Lachen. Ich erinnerte mich, wie er uns beigebracht hatte, Omelettes zu machen, wie wir am Sonntagmorgen Zeichentrickserien angeschaut und dabei alle quer über ihm gelegen hatten. Ich erinnerte mich, wie wir auf Wagen gefahren fahren, um Kürbisse für Halloween zu holen.
Und dann, wie ein Blitz, war er verschwunden.
Wir waren noch Kinder. Unsere ganze Welt brach zusammen.
»Du solltest kein Mitleid mit mir haben, Isabelle. Das erwarte ich nicht.« Seine Stimme war warm, demütig und leise.
»Weißt du …« Ich hielt inne, weil mich meine Gefühle überwältigten, und beschloss, den Mord, den mein Dad begangen hatte, kurz beiseitezuschieben. »Weißt du, was mit uns passiert ist, nachdem du uns verlassen hast? Hast du auch nur die geringste Ahnung?«
Janie tätschelte meinen Arm. Tätschel, tätschel, tätschel, tätschel. Viermal.
Er senkte kurz den Kopf und blickte mich dann wieder an. Durch den Nebel meiner Wut hatte ich den Eindruck, dass er ein Mann war, der bereitwillig den Schlag gegen sein Kinn hinnehmen würde. »Nein«, sagte er. »Aber der Schmerz, den ich euch zugefügt habe, hat mich Tag und Nacht verfolgt. Ständig. Immer.«
»Und das entschuldigt alles?« Der Nebel waberte in mir, in dem Kind, das ich war, allein und verloren und kopfüber in eine beängstigende, unbarmherzige, kalte Welt geschleudert.
»Nein.« Fester, resoluter Ton. »Was ich getan habe, ist unverzeihlich.«
»Wir mussten das Haus aufgeben. Der Sheriff kam sogar persönlich und hat uns rausgeworfen. Das war schrecklich.« Ich sah noch vor mir, wie eine Nachbarin Momma half. Momma war gramgebeugt, umklammerte ihr Hochzeitsalbum und den Brautschleier. Wir hatten alles verkauft, was auch nur ansatzweise von Wert war, daher gab es nicht viel zu packen.
»Wir haben diverse Stadien von Obdachlosigkeit durchgemacht.« Da. Ich hatte es ausgesprochen. Als wir Kinder waren, hatten wir das nie gesagt. Das Wort war nicht erlaubt . Janie hatte es einmal gesagt, und Momma hatte ihr eine Ohrfeige gegeben. »Wir sind nicht obdachlos«, hatte Momma gezischt. »Wir sind keine Verlierer. Wir sind kein weißer Abschaum. Wir verbringen vorübergehend die Nacht im Auto, bis ich mir überlegt habe, was wir machen können, aber wir sind nicht obdachlos. Hast du das verstanden?«
Ich merkte, dass er verblüfft und dann entsetzt war.
»Wir hatten oft Hunger, vor allem in den Sommerferien, wenn es in der Schule keine kostenlosen Mahlzeiten gab.«
Er wurde noch bleicher.
»Henry hatte Gesundheitsprobleme, aber das wusstest du schon, als du uns verlassen hast, nicht wahr?« Ich spürte, wie meine Wut größer wurde.
»Ja. Ich wusste, dass Henry … irgendwas war immer mit ihm … das wusste ich.«
»Aber du hast uns trotzdem verlassen. Du hast uns verlassen. Einmal hatte Momma ein ganzes Jahr lang Bronchitis, weil wir die Medikamente nicht bezahlen konnten. Cecilia bekam Ausschläge, die wir nicht behandeln konnten. Janie hatte Migräne, und die rezeptfreien Medikamente wirkten nicht.«
Ich sah, wie sich sein Kiefer anspannte. Allerdings nicht aus Wut, sondern vor Bestürzung.
Aber ich war wütend. »Wir waren pleite. Momma konnte die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Sie konnte oft keinen normalen Job finden, weil es niemanden gab, der auf Henry aufpasste, während sie arbeitete. Er war ja so oft krank. Sie hatte keine Ausbildung, keine Berufserfahrung. Die Kinder haben sich über uns lustig gemacht, weil wir so arm waren.« Und weil wir die Töchter der Nackten Mami waren. »Henry wurde gehänselt. Wir hatten
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