Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
den Boden.
»Wie ich sehe, haben wir Gesellschaft«, verkündete sie. »Ich stelle heute Abend auf der Veranda meine Autobiographie vor, und ich erwarte viel Publikum. Bitte machen Sie Brezeln für die Gäste.«
»Mach ich, Amelia, und ich bin schon sehr gespannt auf Ihre Autobiographie.«
»Das sollten Sie auch. Die Vereinigten Staaten können es kaum erwarten, Amelia Earharts Geheimnisse zu erfahren.« Wieder pochte sie mit dem Stock. »Ich bin ein fliegendes Genie.«
Aus dem anderen Zimmer hörte ich Janies Stimme. Grandma hörte sie ebenfalls.
»Das Publikum scheint sich schon einzufinden.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und strebte dem Wintergarten zu.
Ich hielt sie am Arm fest. »Ähm, Amelia.«
»Ja, meine Liebe?« Sie schob sich die Fliegerbrille über die Augen. Als ich nicht antwortete, schob sie sie wieder auf ihre Fliegerkappe. »Sprechen Sie jetzt, oder schweigen Sie für immer. Sprechen Sie.«
Was sollte ich sagen? Dein Schwiegersohn ist hier? Du hast ihn nur ein paarmal gesehen, nachdem Momma durchgebrannt ist, um ihn zu heiraten. Erinnerst du dich an den Mann? Der nach Vietnam ging? Eine Weile in einem Käfig hauste … an den?
Aber nein, sie würde sich nicht erinnern. Ihre Erinnerung war zusammengeschrumpft, hatte sich irgendwo in einer Höhle ihres Gehirns versteckt und die Tür abgeschlossen.
»Ich freue mich, Sie zu sehen, Amelia.«
Sie klopfte mit ihrem Stock auf meinen Fuß. »Und ich freue mich ebenfalls, Sie zu sehen, junge Dame.« Sie stolzierte auf das Familienzimmer zu.
Ich stellte Zucker und Sahne auf ein Tablett. Sollte ich Dad Bescheid sagen? Ich überlegte. Wie sollte ich ihn vorbereiten? War er hier gewesen, als es mit Grandma abwärtsging, sie alles vergaß, sich verlief, wütend wurde, Blödsinn redete, ihr Verhalten sprunghaft wurde? Nein. War er hier gewesen, um dafür zu sorgen, dass es Momma nicht vollkommen überforderte, sich um ihre demente Mutter und ihren geistig behinderten Sohn zu kümmern? Nein. War er in der Lage gewesen, uns ein Heim zu bieten? Nein. Grandma hatte das getan.
Singend marschierte Grandma in den Wintergarten.
»Mrs Howe«, hörte ich Dad äußerst höflich sagen.
»Junger Mann!«, protestierte Grandma, die Arme an den Körper gedrückt. »Wo bleiben Ihre Manieren?«
Ich folgte ihr hinein.
Sie marschierte an Dad vorbei. »Mein Name ist Amelia Earhart. Ich muss heute Abend vor einem großen Publikum sprechen, und ich habe keine Zeit für weitere Interviews mit bekifften oder hirnrissigen Journalisten. Machen Sie Platz.«
Dad machte ihr Platz.
»Lassen Sie sich einen Rat geben, junger Mann.« Sie glotzte ihn an, beugte sich vor und rückte ihre Fliegerbrille auf dem Kopf zurecht. »Kenne ich Sie?«
»Ja«, sagte Dad. »Ich glaube, Sie kennen mich.«
»Wie war noch mal Ihr Name?«
»Ich bin Carl Bommarito. Ich bin mit Ihrer Tochter River verheiratet.«
»Hm.« Grandma fummelte an ihrer Fliegerbrille herum. »River … River … Das ist nicht korrekt. Sie sind verwirrt. Sie verwechseln da etwas.« Sie nahm ein Stück Papier und einen Stift von ihrem antiken Rollschreibtisch.
Ich wusste, was sie machen würde, und fragte mich, wie Dad reagieren würde.
Sie drehte sich um und gab Dad einen Zettel.
»Das ist eine Karte von Hawaii. Die brauchen Sie, um dort landen zu können. Ich habe sie selbst benutzt. Sie brauchen mir nicht zu danken. Ich muss jetzt gehen.«
Ich sah zu, wie Grandma aus der Tür marschierte. Sie machte Motorengeräusche und brüllte dann: »Holt mir meinen Kopiloten!« Sie furzte. »Gas im Tank!«
Velvet folgte ihr, nachdem sie Dad zugenickt hatte.
Dad faltete den Zettel auf. Darauf war ein Smiley gemalt.
Sein Gesicht war unbeschreiblich traurig, als er sich die Augen rieb.
»Sie glaubt, sie sei Amelia Earhart«, erklärte ich ihm.
Ich dachte, er würde wieder zu weinen anfangen.
Sie stieß ihn von sich, so fest sie konnte.
Sie schrie ihn an: »Verschwinde, verschwinde, verschwinde!«
Dann ging sie auf ihn los.
Janie und ich hielten Cecilia mit aller Kraft fest.
»Arschloch!«, brüllte sie. »Du Wichser! Du verlässt uns, du verlässt vier Kinder, und jetzt, nachdem wir alle erwachsen sind, kommst du zurück? Was denkst du dir dabei? Ich habe zwei Kinder. Zwei , und ich würde sie niemals im Stich lassen. Verschwinde. Verschwinde! «
»Ich verstehe dich, Cecilia«, sagte unser Dad. »Wirklich.« Er stand auf, seine Miene war ernst, kummervoll, erschöpft.
Ich hielt mit Janie zusammen noch immer die
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