Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
muss sagen, wenn der Columbia River plötzlich von einem Tsunami überschwemmt worden wäre und dieser Tsunami ein Piratenschiff auf unser Dach gehoben hätte, dann hätte mich das nicht so erschüttert, wie jetzt hier unserem Dad in dieser Nische gegenüberzusitzen.
Er hatte sich so sanft nach meinem lädierten Gesicht erkundigt. (Das Wort »lädiert« hatte er nicht gebraucht.) Als ich ihm erzählte, ich hätte eine schlimme Verabredung gehabt, sah ich einen Muskel an seiner Schläfe zucken, während er aus dem Fenster starrte. Er brachte ein krächzendes »Das tut mir leid« hervor und konnte dann mehrere Minuten nicht sprechen. Ich sah, wie sich seine Hand meiner näherte, dann hielt sie inne, aber der Schmerz in seinem niedergeschlagenen Gesicht verschwand nicht. »Das tut mir leid, Isabelle.«
»Oder ich kann dir einen Teller mit Knoblauch-Käsebrot bringen«, brabbelte Janie weiter. »Oder vielleicht eine Hochzeitstorte? Die sind sehr gut. Ich könnte uns eine Hochzeitstorte aufschneiden. Oder einen blauen Spinnenkuchen? Wein haben wir nicht auf der Karte. Die Mütter schmuggeln ihn mittwochmorgens mit herein. Wir nicht. Wir haben keinen. Wein meine ich.«
Ich stupste sie an.
»Wir haben auch Riesencupcakes«, faselte sie. »Wir haben sie Bommaritos himmlische Cupcakes genannt.« Janie sprang auf, holte acht – acht – Cupcakes und stellte sie auf den Tisch. »Die Blumen sehen fast echt aus, ist ein bisschen verrückt, aber wir wollen niemandem damit Angst einjagen, sie sind einfach so geworden, wackeln so hin und her, als könnten sie reden. Die Blumen, meine ich. Wobei ich nicht glaube, dass Blumen reden können. Nein. Können sie nicht.«
»Janie.« Ihr Kopf fuhr zu mir herum. Ich legte ihr die Hand auf den Arm.
Sie holte tief Luft.
»Entschuldigung«, sagte sie atemlos. »Entschuldigung.«
»Bitte.« Unser Dad hob die Hand. »Bitte, du musst dich nicht entschuldigen. Ich sehe doch, dass euer Geschäft blendend läuft.« Er räusperte sich, blinzelte mehrfach. Es half nicht. Tränen tropften ihm aus den Augen.
»Er weint«, murmelte Janie. »Das sind Tränen.«
»Wo warst du, Dad?«, fragte sie, und ihre Stimme zerbrach in kleine Glassplitter. »Warum hast du uns verlassen? Warum bist du nicht zurückgekommen?«
Das Schweigen war so laut, dass ich beinahe die Nerven in meinem Kopf reißen hörte.
Janie griff unter dem Tisch nach meiner Hand und drückte sie im Viererrhythmus. »Wo warst du?« Zwischen unseren Händen wurde der Zuckerguss zu Matsch.
Ja, Dad, wo warst du? Wo warst du, als für uns alles den Bach runterging und immer schlimmer wurde?
»Ich habe …«, begann er, räusperte sich und fing noch mal neu an. »Ich habe jahrelang, Ewigkeiten … darüber nachgedacht, was ich zu euch Mädchen sagen sollte, falls ich euch je wiedersehen würde. Wie ich meine unverzeihliche Abwesenheit erklären sollte.« Er hob das Kinn. »Ich bin immer bei meiner ersten Antwort darauf geblieben: Ich würde euch die Wahrheit sagen.«
»Wahrheit ist gut«, erwiderte ich. »Wir haben sie verdient.«
»Und wo warst du nun?«, fragte Janie. Sie klopfte auf den Tisch, griff nach den Zuckertütchen. Ich wusste, sie würde sie in Vierergruppen sortieren.
»Ich war fünfzehn Jahre im Gefängnis.«
Die Worte hingen zwischen uns wie explodierende Granaten. Feurig, rauchig, schwer, gefährlich.
»Im Ge…« Janie brachte das Wort nicht heraus. Sie sortierte schneller. »Gefängnis?«
Er nickte. »Ja, im Gefängnis.«
Gefängnis? »Was … was hast du denn getan?«, fragte ich und war mir nicht sicher, ob ich die Einzelheiten überhaupt hören wollte.
»Hast du ein Verbrechen begangen?«, fragte Janie.
Janie kann Verbrechen nämlich nicht ausstehen. Es fasziniert sie zwar, darüber zu schreiben, aber wenn sie von Menschen liest, die unschuldige Menschen verletzt haben, nimmt sie das schwer mit. In der Hinsicht müssen wir vorsichtig mit Janie sein. Verbrechen machen sich für Janie bezahlt, jedoch nur in ihren Büchern. Ansonsten glaubt sie lieber, die Welt sei ein netter, flauschiger rosaroter Ort, mit dem sie sich nicht allzu sehr abgeben muss, und ihre Kindheit sei einfach nur ein Albtraum gewesen.
»Ich war nicht unschuldig.«
Beide sackten wir in uns zusammen, mir wurde flau im Magen.
»Ich war schuldig. Das habe ich von Anfang an akzeptiert.« Er hielt inne. »Ich werde nie über das hinwegkommen, was ich getan habe. Kein Tag vergeht, an dem ich es nicht hundertmal bedaure.«
»Was hast
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